Ein Gang in den Unterwelten Neapel, mehrere halbrunde Bögen hintereinander

Jeden Tag schlendern Tausende Touristen in Neapels historischer Altstadt über die Via dei Tribunali, auch Spaccanapoli genannt. Doch während sie durch die durch die hohen Häuserschluchten schlendern, sich am Straßenrand Pizza Portafoglio schmecken lassen oder in einem der vielen Souvenirgeschäfte stöbern, ahnen sie nicht, dass sich unter ihren Füßen eine ganz andere Welt verbirgt. Neapel ist berühmt für seine Unterwelten: unterirdische Ruinen und Zugänge zu längst vergangenen Welten.

Eine Zeitreise dauert in Neapel genau die Zeit, die man benötigt, um einige Stufen hinabzusteigen. Über 2.500 Jahre reicht die Geschichte der Stadt zurück, und diese lange Geschichte lässt sich an vielen Stellen auch unterirdisch fassen. Wer Neapel besucht, sollte unbedingt auch einmal in den „Bauch“ der Stadt hinabsteigen und diese faszinierenden Unterwelten erkunden.

Eine Treppe führt hinab in die Unterwelten von Neapel.

In diesem Artikel werden fünf Zugänge zu den Unterwelten in Neapel vorgestellt. Zwei befinden sich im Centro storico, also der historischen Altstadt. Zwei weitere sind im Stadtteil Sanità zu finden und ein weiterer in der Neustadt, nahe des Palazzo Reale. Die meisten sind nur mit Führung zu besichtigen, die aber mehrmals am Tag angeboten werden. Sie dauern alle etwa eine Stunde, die Führung in Napoli Sotterranea vielleicht ein wenig länger.

Übrigens ist das auch eine tolle Möglichkeit der Hitze zu entfliehen, falls du im Sommer in Neapel bist. In den unterirdischen Orten herrschen meist angenehme 15 Grad – ein Traum bei 34 Grad Außentemperatur mit 60 Prozent Luftfeuchtigkeit.

Aber nun tauchen wir ab, unter die Oberfläche einer Millionenstadt.

San Lorenzo Maggiore

Die erste der Unterwelten von Neapel muss man nicht lange suchen. Sie befindet sich in, oder besser gesagt unterhalb der Kirche San Lorenzo Maggiore. Sie liegt ganz zentral an der Kreuzung der Via dei Tribunali und der Via San Gregorio Armeno, besser bekannt als „Krippengasse“.

Unterwelten Neapel: Blick in eine hohe, schlichte Kirche mit hellen Wänden und gotischem Stil
Das Innere von San Lorenzo Maggiore wirkt im Vergleich zu anderen Neapolitaner Kirchen sehr schlicht.

Von außen sieht San Lorenzo Maggiore aus wie eine beliebige Kirche, ohne dass man ahnt, welche Geheimnisse diese alten Gemäuer bergen. Der Komplex besteht insgesamt aus drei Teilen. Der erste Teil ist die ohne Eintritt zugängliche Basilika aus dem 13. Jahrhundert. Wenn man vorher bereits den Duomo di Napoli oder eine andere Kirche mit prächtiger barocker Ausstattung besucht hat, kommt einem diese Basilika fast wohltuend schlicht vor. Es gibt einige schöne Bodenmosaike zu sehen, aber insgesamt kommt diese Kirche ohne allzu prächtigen Schmuck aus.

Eine Marienfigur, die ein echtes Kleid trägt, dahinter ist ein Alter mit Kruzifix zu sehen.

Für die anderen Teile des Komplexes zahlt man Eintritt. Der zweite Teil umfasst ein ehemaliges Franziskaner-Kloster und stammt ursprünglich aus dem 14. Jahrhundert, wurde aber im 17. Jahrhundert erweitert. Es wartet mit einem reich verzierten Refektorium und einem nicht minder schön ausgestatteten Kapitelsaal auf.

Ein Saal mit einer grauen Steinsäule, dahinter sind prächtige Wandverzierungen zu sehen.
Der reich verzierte Kapitelsaal ist eines der Highlights der Klosteranlage.

Basilika und Kloster gehörten beide den Franziskanern. Das erklärt auch ihre vergleichsweise schlichte Ausstattung. Der große Kreuzgang ist ebenfalls erhalten, dort beginnen auch die Führungen.

Blick in das Refektorium: Eine halbrunde mit Gemälden verzierte Decke
Hier speist man stilvoll: Diese prächtige Decke krönte das Refektorium der Mönche. Die Gemälde sind voll von christlicher Symbolik.

Der dritte Teil von San Lorenzo Maggiore ist – aus meiner Sicht – der spannendste: Durch das Kloster gelangt man über einige Stufen in die unterirdische Ausgrabung mit Überresten aus der griechisch-römischen Antike. Von der Treppe aus blickt man genau auf eine mit großen Steinen gepflasterte Straße. Hierbei handelt es sich um den alten decumanus maximus aus römischer Zeit, also die Hauptstraße der Stadt in ost-westlicher Richtung. Und um einen Bogen zum Beginn dieses Textes zu schlagen: Die moderne Via dei Tribunali verläuft praktisch genau auf diesem antiken decumanus.

Blick von oben auf eine mit großen, dunkelgrauen und weißen Steinen gepflasterte Straße, links antike Gebäudereste
Hier blicken wir direkt auf den alten römischen decumanus maximus. Dies ist die originale Straße aus römischer Zeit.

Diese Unterwelten geben einen einzigartigen Einblick in das Alltagsleben des antiken Neapels. Da die Altstadt so dicht bebaut ist, sind Ausgrabungen an den meisten anderen Stellen gar nicht möglich. Das zentrale Element bilden die Reste des römischen Markts. Diesen darf man sich aber nicht als weitläufigen Marktplatz vorstellen, wie man ihn aus dem Mittelalter oder auch aus heutigen Zeiten kennt.

Links gemauerte Wände, daneben ist die alte Straße zu erkennen mit einer halbrunden Unterführung
Der alte decumanus maximus führte am Marktkomplex entlang und verläuft unterhalb der modernen Via dei Tribunali.

Stattdessen erbauten die Römer ein zweistöckiges Gebäude, das mehrere Funktionen bekleidete. Im unteren Geschoss befanden sich Werkstätten. Bei einigen rätseln die Archäologen noch über ihre Funktion, aber einige haben sie auch schon eindeutig identifiziert. So konnten sie hier unten u. a. eine Bäckerei, eine Stofffärberei und Fischverarbeitung nachweisen. Im oberen Geschoss befanden sich schließlich die Verkaufsgeschäfte. Von denen kann man leider hier nichts mehr sehen, aber der Aufbau römischer Markthallen ist bekannt. Auch die Kämmerei, in der die Stadtkasse aufbewahrt wurde, konnte hier nachgewiesen werden.

Blick in eine Werkstatt in den Unterwelten Neapel: Hinten links ist ein steinernes Becken, davor ein Eingang mit Rundbogen.
Diese Werkstatt war vermutlich eine Stofffärberei. Hinten links erkennt man noch steinerne Becken.

Biegt man am Ende des Markts rechts ab, stößt man irgendwann auf noch ältere Ruinen aus griechischer Zeit. In ihrem Ursprung war Neapel eine Gründung griechischer Kolonisten. Die Römer haben das griechische Neapel schließlich nach ihren Vorstellungen und mit ihren Baumethoden umgestaltet. Aus griechischer Zeit kann man in San Lorenzo Maggiore u. a. eine Zisterne sehen.

Ein Schacht einer Zisterne, die durch metallene Querstreben gesichert ist. Am Boden der Zisterne liegen viele Münzen.
Blick in die griechische Zisterne aus hellenistischer Zeit – viele Menschen haben Münzen hinein geworfen.

Es gibt in dieser Ecke der Ausgrabung auch ein impluvium, also ein Becken, in dem das Regenwasser aufgefangen und in den Trinkwasserspeicher weitergeleitet wurde. Außerdem sehen wir hier die Reste von prachtvoll mit Mosaiken und Fresken ausgekleideten Räumen aus römischer Zeit. Bei denen handelte sich vermutlich nicht um ein Privathaus, sondern um eine schola, was sich mit „Schule“ nur sehr unzureichend übersetzen lässt.

Dieses Wort ist ein wenig schwierig, denn je nach Kontext kann schola eine Art Bildungsstätte für junge Menschen (also doch eine Schule, wenn man so will), eine militärische Einheit oder eine Versammlungsstätte für verschiedenen soziale oder religiöse Gruppen bezeichnen. Dies gilt aber ausdrücklich nur für die römische Zeit! Im alten Griechenland oder im Mittelalter hatte das Wort andere Bedeutungen.

Im Falle von San Lorenzo Maggiore vermuten die Archäologen, dass es sich um eine Versammlungsstätte handelt, die gewerblichen oder religiösen Zwecken diente. Ursprünglich war es vielleicht ein großer Raum, der man aber später durch Einziehung von Zwischenwänden weiter aufteilte. Die Wände zerschneiden das Bodenmosaik, daher wissen wir, dass sie ursprünglich nicht vorhanden waren.

Ecke eines Raumes: Der Boden besteht aus ganz feinem Mosaik, an den Wänden sind Reste von Fresken zu erkennen.
Dieser Raum, der wahrscheinlich eine schola war, verfügte über kostbare Mosaik- und Freskenverzierung.

Leider konnte das Areal nicht vollständig ausgegraben werden. Über dem Gelände befindet sich ja das ebenfalls historische Kloster, welches durch weitere Grabungen Schaden nehmen könnte. Der Eintritt beinhaltet auch noch ein Museum, in dem einige Funde aus der Ausgrabung ausgestellt sind, und das ich leider einfach mal komplett übersehen habe. Du weißt es nun besser als ich und wirst nicht, wie ich, am Ende einfach dran vorbeirennen. 😉

Ein Modell, das den Komplex des Marktgebäudes zeigt, wie es einmal ausgesehen haben muss.
Im Kreuzgang steht dieses Modell. Es zeigt den antiken Marktkomplex, wie er möglicherweise einmal ausgesehen hat.

San Lorenzo Maggiore kannst du als einzige der hier vorgestellten Unterwelten in Neapel auch auf eigene Faust besichtigen. Aber ich empfehle dennoch, die paar Euro zusätzlich zu investieren und eine Führung zu buchen, denn so erfährt man sehr viel mehr über die Ausgrabung und hat mehr vom Besuch. Führungen werden mehrfach täglich in Englisch und Italienisch angeboten.

https://www.laneapolissotterrata.it

Napoli Sotterranea

Die zweite der Unterwelten von Neapel findest du nur wenige Meter von San Lorenzo Maggiore entfernt: Napoli Sotterranea. Dies ist der zweite Zugang zur Unterwelt in der Altstadt neben San Lorenzo Maggiore. Das Napoli Sotterranea kannst du nur mit einer Führung besichtigen, die aus zwei Teilen besteht.

Eingang mit der Inschrift "Napoli Sotterranea", darüber ein steinerner Kopf

Zunächst geht es eine lange Treppe hinab, bis man in den großen unterirdischen Hallen steht. Im ersten Teil erhält man Einblicke in die unterirdische Wasserversorgung der antiken Stadt Neapolis. Die Zisternen und auch die Wasserschächte stammen aus griechischer Zeit und wurden in römischer Zeit noch einmal erweitert. Denn: Der Standort der „neuen Stadt“ war zwar sehr günstig, jedoch fehlte eine Süßwasserquelle.  Also brachte man das Wasser mit einem ausgeklügelten Leitungssystem in die Stadt. Die Länge dieses Tunnelsystems beträgt etwa 100 Kilometer und reicht bis nach Pompeii! Dies ist auch einer der Gründe, warum man nur mit Führung hinunter gehen darf.

Das Gestein unter Neapel ist Tuff – ein vulkanisches Gestein, das leicht zu bearbeiten, aber dennoch stabil ist. Überall an den Wänden und Decken des unterirdischen Gewölbes sind die Spuren und Einkerbungen der antiken Werkzeuge zu erkennen, mit denen dieses System einst in den Tuff gehauen wurde. Dabei muss einem klar sein: Diese imposante Anlage ist das Produkt von Sklavenarbeit. Für eine solch schwere Arbeit setzte man in der Antike vor allem Sklaven ein.

Ein schmales Wasserbecken, darüber hängt eine Amphore an einem Seil
Dieses kleine Becken war eine private Zisterne eines reichen Bürgers.

Dennoch ist es eindrucksvoll, dass die Menschen damals mit vergleichsweise einfachen Werkzeugen ein so riesiges und komplexes unterirdisches Tunnelsystem erschaffen haben. Gleich mehrere der unterirdischen Zisternen kann man während der Führung sehen. Es gibt kleine und große Becken. Bei den kleinen handelte es sich, so erklärt es unser Guide, um private Zisternen. Wer wirklich wohlhabend war, ließ sich einen eigenen Zugang zum Trinkwasser legen und benutzte nicht die Gemeinschaftsbrunnen. Die größeren Becken hingegen speisten die öffentlichen Brunnen, die von jeder benutzen durfte. Ohne diese ausgeklügelte Anlage, die die Stadt mit Trinkwasser versorgte, hätte Neapel sich nie zu einer großen und bedeutenden Stadt entwickeln können.

Ein größeres Wasserbecken, darüber hängt eine Amphore an einem Seil
Dies war eine große Zisterne. Sie speiste einen öffentlichen Brunnen.

Highlight der Führung ist der Weg durch die engen Wasserrohre – hier kann man nur seitwärts laufen und das einzige Licht kommt von der Handy-Taschenlampe. Ein tolles Erlebnis, aber definitiv nichts für Menschen mit Klaustrophobie! Wem die Rohre tatsächlich zu eng sind, hat aber die Möglichkeit, an einem Sammelpunkt auf die Gruppe zu warten.

Für die Trinkwasserversorgung wurde das Tunnelsystem irgendwann nicht mehr gebraucht und sie geriet ein wenig in Vergessenheit. Dies änderte sich während des Zweiten Weltkriegs. Wir erinnern uns kurz: Italien war zu diesem Zeitpunkt unter der Kontrolle der Faschisten unter Benito Mussolini und war in den ersten Kriegsjahren mit Nazideutschland verbündet. Im Juli 1943 landeten die Alliierten auf Sizilien und begannen von dort aus, Italien zu erobern. Mussolini wurde abgesetzt, später dann auch gelyncht.

Ein Panzer, daneben stehen stilisierte Menschenfiguren mit Stahlhelmen
Dieser Panzer ist nicht echt. Er ist eine Reminiszenz an die Kriegsgeschichte des Komplexes.

Italien wechselte die Seiten. Dies hatte auch zur Folge, dass die italienischen Städte während des Krieges Luftangriffen von zwei Seiten ausgesetzt waren: zunächst von den Alliierten, danach von den Deutschen. Neapel als drittgrößte Stadt des Landes war auch eine der am meisten bombardierten. Es wurden dringend Schutzräume für die vielen Zivilisten in der auch damals schon extrem dicht besiedelten Altstadt benötigt.

In dieser Situation erinnerte man sich an das unterirdische Tunnelsystem. Die Anlage wurde nun erweitert und als Bunker für die Zivilbevölkerung genutzt. Spuren davon lassen sich heute noch besichtigen. Die Toiletten aus jener Zeit – oder besser: der Abtritt – sind original erhalten.

Eine Kabine mit steinernen Wänden, am Boden ist eine Hock-Toilette zu erkennen.
Die Toilette aus Kriegszeiten – oder besser: der Abtritt. Mehrere dieser Kabinen sind hier nebeneinander.

Der alte Panzer, der hier unten steht, ist allerdings Fake. Die alten Wasserleitungen boten nun Tausenden Menschen Schutz vor den Bomben. Trotzdem kam es zu Todesfällen. Eine Mahntafel erinnert an einer Treppe daran, dass hier bei einer Massenpanik Dutzende Menschen erdrückt wurden, als sie versuchten, bei Fliegeralarm möglichst schnell in den rettenden Bunker zu gelangen.

Der zweite Teil der Führung führt uns zunächst wieder nach draußen. Wir geheb zweimal um die Ecke, in eine der schmalen Altstadtgassen, und dann stehen wir plötzlich in einer dunklen, fensterlosen, altmodisch eingerichteten Erdgeschoss-Wohnung – in Neapel „basso“ benannt. „Seid ihr jetzt verwirrt?“, fragt unser Guide lachend. Allerdings, sagen wir. Doch schnell wird klar, dass dies nicht einfach nur eine normale Wohnung ist. Wie die Einrichtung schon vermuten lässt, hat hier eine alte Frau gewohnt. Unsere Gästeführerin betätigt einen Hebel, und plötzlich fährt das Bett nach hinten und eine Klappe im Boden wird sichtbar. Hier geht es hinab in den Keller. Und dieser birgt ein antikes Geheimnis!

Eine antike unterirdische Struktur, ein breiter Bogen
Unter einer alten basso-Wohnung steht man in den Resten eines römischen Theaters.

Die alte Frau wusste nichts davon, bis eines Tages Archäologen vor ihrer Tür standen und sie um Erlaubnis baten, ihren Keller zu untersuchen. Durch den Zugang im Boden geht es ein paar hölzerne Stufen nach unten, und plötzlich steht man in den unterirdischen Resten eines römischen Theaters.

Das Skurrile: Der komplette Häuserblock ist in die Reste des alten Theaters eingebaut. Oben sind die Verstrebungen und Böden von bewohnten Apartments zu sehen. In diesem Theater hatte sogar Kaiser Nero – der sich ja stets für einen großen Musiker und Künstler hielt – einen großen Auftritt.

Weitere antike Reste in den Unterwelten Neapel
Weitere Reste des antiken Theaters in den Unterwelten von Neapel

Für die alte Frau hat sich die Entdeckung auf jeden Fall gelohnt: Sie erhielt eine großzügige Abfindung und erklärte sich dafür bereit, aus ihrer Wohnung auszuziehen. So konnten die Archäologen in Ruhe arbeiten, ohne sie zu stören, und die Räume dienen heute als Zugang zu dieser spannenden Unterwelt. 

https://www.napolisotterranea.org/en/

Catacombe di San Gennaro

Die nächsten beiden Stationen der Unterwelten von Neapel sind mehr etwas für Freunde des Morbiden. Für sie begeben wir uns in den Stadtteil Sanità. Gleich zwei unterirdische Friedhöfe gibt es in diesem Viertel. Die Katakomben von San Gennaro befinden sich in der Nähe des Schlosses von Capodimonte. Direkt neben der eindrucksvollen Kirche mit dem Namen Basilica dell’Incoronata Madre del Buon Consiglio (heißt auf Deutsch so viel wie: Basilika der Fleisch gewordenen Mutter des guten Rates) findet sich der Eingang.

Eine weiße Kirche mit Säulenverzierung an der Fassade.
Die Kirche ist von der Straße aus nicht zu übersehen. Links daneben findet man die Kasse und den Museumsshop der Catacombe di San Gennaro.

Ursprünglich befand sich an dieser Stelle im 2. Jahrhundert nur die Grablege eines römischen Ehepaars. Der unterirdische Friedhof wurde dann über die Jahrhunderte erweitert. Im 5. Jahrhundert legte man mehrere Friedhöfe zu einem großen zusammen, wofür man sogar die Zerstörung einiger Gräber in Kauf genommen hatte. Anlass dafür war die Beisetzung der sterblichen Überreste des sechsten Bischofs von Neapel Agrippinus. Dieser war aufgrund kolportierter Wundertaten heiliggesprochen worden, was sein Grab zur Pilgerstätte werden ließ.

Die Statue eines Mannes in Kutte, der gen Himmel schaut und beide Hände in Richtung Himmel gehoben hat.

Schließlich wurden auch noch die Überreste des San Gennaro in der Katakombe beigesetzt. Der heilige Januarius, oder eben auf Italienisch San Gennaro, ist einer der wichtigsten der Neapolitaner Stadtheiligen. Und derer hat Neapel einige! Nicht weniger als 52 Heilige werden in Neapel offiziell als Stadtheilige verehrt.

Streng genommen sind es sogar 53, denn auch der 2020 verstorbene argentinische Fußballstar Diego Armando Maradona wird bis heute in Neapel fast gottgleich verehrt, seit er in den 1980ern für den SSC Neapel spielte und maßgeblich an den größten Erfolgen der Vereinsgeschichte beteiligt war. So oder so braucht die Stadt offenbar eine Menge Beistand von oben.

Blick in die Katakombe San Gennaro, Teil der Unterwelten Neapel. Eine Art in den Stein gehauene Kaverne, an beiden Seiten sind Wandnischen zu erkennen, die Grablegen.
Blick in die Catacombe di San Gennaro

Zurück zu den Katakomben: San Gennaro ist nicht nur einer der wichtigsten Heiligen der Stadt, sondern er stammte auch noch aus der Nähe von Neapel, war also eine Art spätantiker Local Hero der frühen Christen. Beigesetzt wurden hier aber nicht nur Geistliche, sondern auch ganz normale Familien. Natürlich gibt es einen deutlichen optischen Unterschied zwischen den Grablegen der Wohlhabenden und denen der nicht so Begüterten. Die reichen Familien ließen ihre Grabstätten mit Fresken verzieren. Teils sind christliche Motive zu erkennen, zum Teil werden aber auch die Verstorbenen dargestellt.

Eine Wandmalerei, die einen Heiligen zeigt, darunter eine Grablege.
Die Reichen und Mächtigen wurden in verzierten Grablegen bestattet. Dies hier war möglicherweise die Grablege von San Gennaro.

In letzterem Fall kam es durchaus vor, dass die Bilder mehrfach übermalt wurden. Wenn weitere Familienmitglieder starben und hier bestattet wurden, erneuerte man die Bilder und fügte die frisch Verstorbenen hinzu. Bis zu fünf Körper passten übrigens in die Nischen – natürlich verging zwischen den Bestattungen in der Regel etwas Zeit, sodass die unteren Leichen stärker verwest oder sogar schon skelettiert waren, und somit weniger Platz brauchten.

Unterwelten Neapel: Unterirdische Katakomben, Grabnischen, die in den Stein geschlagen wurden.
In diesen Nischen wurden die Menschen beigesetzt – in jede Nische bis zu 5 Personen.

Die Führung endet schließlich in der Basilika San Gennaro fuori la mura. „Fuori la mura“ heißt „außerhalb der Mauer“, denn die Katakomben befanden sich ursprünglich außerhalb der Stadtmauer von Neapel. Von hier aus gelangt man über ein Tor direkt in den Stadtteil Sanità.

Wandmalerei über einer Grablege, die einen Pfau zeigt in den Unterwelten Neapel
Dieses Grab mit dieser hübschen Pfauenverzierung gehörte wohl auch einer wohlhabenden Familie.

Nach dem Diebstahl der Knochen San Gennaros verlor die Katakombe ihre Bedeutung als Pilgerstätte.  Durch Erdrutsche war das heutige Gebiet von Sanità lange mit Schlamm zugeschüttet und wurde erst im 17. Jahrhundert als Stadtteil aufgebaut. Zu dieser Zeit entdeckte man auch die Katakomben wieder. Knochen gibt es hier heute nicht mehr zu sehen – diese wurden im 19. Jahrhundert während der französischen Herrschaft alle entfernt.

https://catacombedinapoli.it/en/

Catacombe di San Gaudisio

Nicht weit entfernt befinden sich die nächste der Unterwelten von Neapel: Catacombe di San Gaudisio. Sie ist ein wenig jünger als die Catacombe di San Gennaro, hat aber dafür eine andere Besonderheit. Sie wurde nämlich in der Neuzeit wiederverwendet.

Ein Gang der Unterwelten Neapel mit Abzweigungen links und rechts, dazwischen befinden sich Wandbilder. Der Gang endet vor einer Wand, auf die ein Kreuz aufgemalt ist.
Blick in die Catacombe di San Gaudisio

Der Eingang zur Katakombe befindet sich in der prächtigen Basilika Santa Maria della Sanità – und mit deren Bau ist die Geschichte der Katakombe eng verknüpft. San Gaudisio lebte im 5. Jahrhundert. Er war Bischof und stammte aus Nordafrika. In der Basilika gibt es eine moderne bildliche Rekonstruktion davon, wie der Heilige ausgesehen haben könnte. Er starb um 450 in Neapel, wo er sich im Exil befand und wurde in den Katakomben beigesetzt. Im Mittelalter geriet der frühchristliche Bestattungsplatz zunächst in Vergessenheit, weil wie erwähnt das Gebiet von Erdmaterial verschüttet war.

Eine doppelte geschwungene Treppe aus einem rötlichen Stein, die zur Orgel hochführt. Davor steht eine Heiligenfigur.
Die Basilika Santa Maria della Sanità verfügt über eine prächtige Ausstattung.

Als der Stadtteil Sanità erbaut wurde, plante man natürlich nicht nur Wohnbauten, sondern auch den Bau einer prächtigen Kirche. Damals war Sanità – anders als heute – ein wohlhabender Stadtteil, in dem viele Reiche und Adlige wohnten. Für den Bau einer solchen Kirche benötigt man Geld. Viel Geld. Und um dieses zu beschaffen, überlegte man sich eine spezielle Finanzierungskampagne.

Eine Kryptahalle mit Bögen-Ausbuchtungen und Bänken an der Seite. Die Decke ist mit Malereien verziert.
Blick in die Krypta: Hier befand sich früher der Zugang zu den Katakomben.

Die Idee: Reiche Bürger spendeten eine große Summe für den Kirchenbau und durften sich im Gegenzug in den Katakomben in der Nähe der Gebeine des heiligen Gaudisio bestatten lassen. Und die Idee zog! Nach wenigen Jahrzehnten waren die nötigen Mittel für Bau und Ausstattung der barocken Kirche zusammen und die Bestattungspraxis in den Katakomben hörte wieder auf.

Dabei entstanden einige skurrile und teils makabre Praktiken. Schädel wurden mit dem Gesicht nach vorne in die Wände einbetoniert, und echte Knochen fanden teils als Wanddeko Verwendung. Mit fehlender Pietät hat das aber nichts zu tun. Es verbirgt sich wohl einfach eine Vorstellung dahinter, die uns in der heutigen Lebensrealität fremd geworden ist. Möglicherweise ist es als eine Art „Memento Mori – Bedenke, dass du sterben wirst“ an die Lebenden gedacht.

Eine Wandverzierung, die eine stilisierte menschliche Figur wie ein Strichmännchen zeigt und aus menschlichen Knochen besteht. Unterwelten Neapel
Memento Mori? Diese spezielle Wandverzierung findet sich in den Katakomben. Sie besteht aus echten Knochen.

Die Catacombe di San Gaudisio sind auf jeden Fall die gruseligste der Unterwelten in Neapel. Die Katakomben San Gennaro und San Gaudisio kann man mit einem Kombiticket besuchen. Beide liegen nur wenige Gehminuten voneinander entfernt.

https://catacombedinapoli.it/en/

Galleria Borbonica

Es gibt noch einen weiteren Spot der Unterwelten von Neapel. Diesen reiße ich hier nur kurz an, da ich selbst bei meinem Aufenthalt in Neapel nicht mehr die Zeit hatte, ihn zu besichtigen. Der Vollständigkeit halber sei er in diesem Artikel aber trotzdem erwähnt. Die Galleria Borbonica ist, wie der Name schon andeutet, während der bourbonischen Herrschaft als Fluchttunnel angelegt worden. Er führte vom Palazzo Reale in der Neustadt nach Santa Lucia und befindet sich rund 25 Meter unter der Erde.

Ein Tunnel der Unterwelten Neapel, mit alten Autos und Fahrrädern
Copyright: Galleria Borbonica

Ähnlich wie das unterirdische Wasserleitungssystem des Napoli Sotterranea wurde auch dieser Tunnel während des Zweiten Weltkriegs erweitert und als Luftschutzbunker für die Zivilbevölkerung genutzt. Nach dem Krieg wurde der Tunnel offenbar als Parkplatz genutzt, denn noch heute stehen dort ausrangierte Autos und Motorräder, die mit einer dicken Staubschicht bedeckt sind. Irgendwann ist dieser Ort einfach in Vergessenheit geraten und ist dann 2005 wiederentdeckt worden.

Ein Tunnel der Unterwelten Neapel, mit alten Autos
Copyright: Galleria Borbonica

Es gibt insgesamt drei Zugänge, über die man in den Tunnel hinabsteigen kann. Auch hier ist die Führung obligatorisch, Tickets kannst du auch bequem vorab online buchen. Ich finde es schade, dass ich diesen Spot verpasst habe und werde den Besuch auf jeden Fall nachholen, wenn ich das nächste Mal nach Neapel komme.

https://www.galleriaborbonica.com/en/home/

Fazit

Die Unterwelten von Neapel bieten einen einzigartigen und lebendigen Blick in die Geschichte, der einem sonst verborgen bliebe. Egal ob die römische Markthalle in San Lorenzo Maggiore, frühchristliche Gräber oder die alten Autos und Motorräder in der Galleria Borbonica – hier scheinen Momente der Geschichte unterirdisch eingefroren zu sein und es ist sehr spannend sie zu entdecken! Fast alle Spots sind nur mit Führung zu besichtigen, was meiner Meinung nach aber auch in allen Fällen Sinn ergibt.

Antike Wände, ein Eingang mit Rundbogen, davor steht ein Tischchen mit Geschirr, und ein geflochtener Korb. Unterwelten Neapel.

So erfährt man bei den Katakomben-Führungen nicht nur etwas über die Geschichte dieser unterirdischen Friedhöfe, sondern auch über den Stadtteil Sanità. Das ist sehr bereichernd und wichtig für das Verständnis des Umfeldes, in dem diese Sehenswürdigkeiten liegen.

Die Unterwelten sind auch fast die einzige Möglichkeit in Neapel einen Einblick in archäologische Ausgrabungen zu erhalten, denn die Stadt ist so dicht bebaut, dass das andernorts kaum möglich ist. Auch wenn du nur kurz in der Stadt bist, würde ich trotzdem empfehlen, zumindest eine der unterirdischen Sehenswürdigkeiten zu besuchen. Es lohnt sich!

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Von Sylvia S

Liebt Geschichte und das Reisen. Aber auch Literatur, Fußball, Gaming und Heavy Metal. Und fragt sich seit Jahren, warum es eigentlich keine Wikinger-Emojis gibt.

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