Villa Hügel im Abendlicht

Hoch über dem Baldeneysee im Süden von Essen thront ein prächtiges Anwesen. Die Familie, die hier einst lebte, prägte das Bild der Ruhrgebietsmetropole wie kaum etwas anderes: Die Krupps. Ihr Anwesen, die Villa Hügel in Essen, ist heute in Besitz der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung. Jedes Jahr zieht sie viele Besucher an, die einen Blick auf die Geschichte und das Leben einer der einflussreichsten Industriellenfamilien des Ruhrgebiets erhaschen und die weitläufigen Parkanlagen rund um das Anwesen genießen möchten.

Fährt oder geht man die lange Auffahrt zur Villa entlang, wird deutlich: Die Familie, die hier lebte, legte Wert darauf, ihre Ruhe zu haben. Zu der Zeit, als die Krupps das Anwesen noch als Wohnsitz nutzten, war der Zutritt nur wenigen Besuchern gestattet. Abgesehen von all den hochrangingen Gästen aus Politik, Wirtschaft, Kunst und Kultur, die von der Familie eingeladen wurden.

Zeitreise

Wir machen eine Zeitreise ins 19. Jahrhundert. Das landläufige (und inzwischen natürlich längst veraltete) Bild des Ruhrgebiets mit seinen abertausenden Schloten, die alles zwischen Duisburg und Dortmund unter einer Dunstglocke aus Rauch hielt, entstand in dieser Zeit. Die industrielle Revolution, die in England ihren Anfang genommen hatte, hatte Deutschland erreicht – oder das, was einmal Deutschland sein würde. Denn bis 1871 bestand das spätere deutsche Reich aus einem Flickenteppich von Fürsten- und Herzogtümern und kleineren Königreichen. Essen gehörte wie das ganze Ruhrgebiet zum Königreich Preußen.

Villa Hügel, Außenansicht

Das Ruhrgebiet mit seinen reichen Steinkohlevorkommen wurde Mitte des 19. Jahrhunderts rasant zu einem Zentrum der Industrialisierung. Der Anschluss des Ruhrgebiets an die in den 1840er Jahren erbaute Köln-Mindener Eisenbahnstrecke eröffnete Geschäftsleuten Absatzmärkte weit über die Region hinaus. Zuvor war das Ruhrgebiet eine stark landwirtschaftlich geprägte Region mit einzelnen größeren Städten wie Essen, Dortmund oder Duisburg.

Und auch diese heutigen Großstädte hatten freilich auch noch nicht annähernd ihre heutige Größe und Einwohnerzahl. Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts wandelte sich das Gesicht der Region massiv. Rund um die Schwerindustriezentren wuchsen Ortschaften, Dörfer, ganze Städte und die Einwohnerzahl vervielfachte sich innerhalb weniger Jahre.

Ein neuer „Adel“

Gleichzeitig entstand im Ruhrgebiet eine Art „neuer Adel“. Dies waren nicht Menschen, die ihren Adelstitel seit Jahrhunderten vererbten und ihre Vorfahren bis ins Mittelalter zurückverfolgen konnten. Sondern es waren Geschäftsleute, die den Geist der neuen Zeit erkannten und auf das lukrative Pferd Schwerindustrie setzen. Mächtige Fabrikantendynastien wie die Haniels, die Thyssens oder eben die Krupps stiegen empor.

Da sie einen Großteil der wichtigen Kohle- und Stahlindustrie – und damit auch die Rüstungs- und Waffenproduktion – im preußischen Königreich und später im deutschen Kaiserreich kontrollierten, reichte ihr politischer Einfluss weit. „Ruhrbarone“ wurden die Großindustriellen aus dem Ruhrgebiet im Volksmund oft genannt. Sie verfügten über große finanzielle Mittel. Dies wird einem sofort klar, wenn man vor dem prachtvollen Bau der Villa Hügel Essen steht und das Haupthaus durch das mit kostbarem Marmormosaik ausgelegte Eingangsfoyer betritt.

Tisch mit drei Polsterstühlen vor einem verzierten Geländer und Bibliothek im Hintergrund

Gussstahl und Radreifen

Wenn man sich mit der Geschichte der Stadt Essen beschäftigt, kommt man an dem Namen Krupp nicht vorbei. 1812 gründete Friedrich Krupp eine Gussstahlfabrik westlich des Essener Stadtkerns, der heute noch die Essener Innenstadt bildet. Dabei legte die Firma alles andere als einen Kickstart hin. Der geschäftliche Erfolg verlief anfangs noch mäßig. Die Familie residierte damals noch recht bescheiden in einem kleinen Häuschen auf dem Werksgelände.

Friedrich Krupp starb bereits 1826. Die Firma wurde dann zunächst von seiner Frau Therese, schließlich von seinem Sohn Alfred, als dieser alt genug war, weitergeführt. Alfred Krupp schließlich baute die bescheidene Gussstahlfabrik seines Vaters zu einem Schwerindustrie-Imperium aus. Die Friedrich-Krupp-AG profitierte dabei von dem enorm gestiegenen Bedarf an Gussstahl. Dieser entstand vor allem durch den Ausbau des Güterverkehrs und der Eisenbahn.

In diesem Zusammenhang entwickelte die Firma ihr wichtigstes Produkt in dieser Zeit: den nahtlosen Eisenbahnradreifen. Klingt unspektakulär? Für uns vielleicht schon, doch damals war das eine technische Revolution. Zuvor konnten Eisenbahnradreifen nur aus einem Barren mit einer Schweißnaht gefertigt werden. Sie hatten so immer eine Schwachstelle, die zu vielen Radbrüchen und schweren Unfällen führte. Mit der bahnbrechenden Erfindung des nahtlosen Radreifens beseitigte Krupp diese Schwachstelle und legte den Grundstein für einen rasanten Aufstieg. Wie bedeutsam die Firma selbst diese Erfindung für ihre Geschichte einschätzte, kann man an ihrem Firmenlogo ablesen. Die drei übereinander liegenden Ringe symbolisieren den nahtlosen Radreifen.

Eine Skulptur der drei Radreifen aus dem Logo von Krupp

Krupp und Essen

In den 1860er Jahren stieg die Firma Krupp groß in die Waffenproduktion und in die Massenproduktion von Stahl ein. Beim Tode Alfred Krupps im Jahr 1887 waren bereits 20.000 Menschen bei der Firma beschäftigt. Das Werksgelände und die dazugehörigen Arbeitersiedlungen zogen sich über drei Stadtteile. Noch heute gelten die westlichen Essener Stadtteile Altendorf, Frohnhausen und Holsterhausen als „Krupp-Stadtteile“. In den Jahren 1870 – 1873 ließ Alfred Krupp auf dem Gelände des ehemaligen Gutes Klosterbuschhof, das er bereits in den 1860er Jahren erworben hatte, die Villa Hügel in Essen-Bredeney errichten. Die Planung des Gebäudes und der Außenanlagen übernahm er weitgehend selbst.

Zu dieser Zeit war es in der Schwerindustrie eigentlich üblich, dass der Firmenchef mit seiner Familie auf dem Werksgelände wohnte. Warum jedoch entschloss sich Alfred Krupp mit seiner Familie weit weg vom Werksgelände in den südlichen Stadtteil Bredeney zu ziehen? Dies hing auch mit einer geschäftlichen Entscheidung Alfred Krupps zusammen. Er führte 1862 in seiner Firma die sogenannte Prokura ein. Dies war im Prinzip eine Geschäftsführung, die das operative Geschäft leitete – heute würde man das wahrscheinlich einen CEO nennen.

Er selbst definierte seine Rolle in der Firma neu und sah sich fortan eher in einer Aufsichtsfunktion und als Strategiegeber. Der physische Rückzug vom Werksgelände in die Villa Hügel in den Süden von Essen, symbolisiert diesen Schritt.

Pompöse Ausstattung, moderne Annehmlichkeiten

Die lange Einfahrt zur Villa führt direkt zum Haupthaus, das der Familie als Wohnsitz gedient hat. Parkettböden, holzgetäfelte Wände und Decken und großformatige Gemälde von Familienmitgliedern der Krupps, aber auch bedeutenden zeitgenössischen Personen wie der drei deutschen Kaiser, prägen das Bild des großen Hauses. Und das ist es vor allem: groß. Wer bereits Schlösser und Burgen in Europa besucht hat, fühlt sich angesichts der teils pompösen Ausstattung mit riesigen Wandteppichen durchaus an einen Adelssitz erinnert.

Teile der Inneneinrichtung sind noch vorhanden, wie etwa das riesige Arbeitszimmer im Obergeschoss mit seinem mächtigen Schreibtisch. Noch beeindruckender ist die große Halle im Obergeschoss. Hier gibt es sogar eine Orgel mit Selbstspielfunktion – ein gutes Beispiel für die moderne technische Ausstattung des Gebäudes im 19. Jahrhundert. In der Villa Hügel gab es alle modernen Annehmlichkeiten.

Reich verzierte Wand mit großformatigen Gemälden
Das Innere der Villa Hügel erinnert mit seiner pompösen Pracht an Adelspaläste – sogar an den Toiletten…

Wie sich Einrichtung und Ausstattung der Villa im Laufe der Jahre mit den wechselnden Generationen wandelten, kann man im kleinen Haus nachvollziehen. Ursprünglich war das kleine Haus das Gästehaus des Anwesens, das an das Haupthaus durch einen Verbindungsbau angeschlossen ist. Heute enthält es das Historische Archiv Krupp und eine umfangreiche Dauerausstellung.

Mit Texttafeln, Fotos und vielen Exponaten gibt diese einen detaillierten Überblick über die Familiengeschichte des Krupps, die wechselvolle Firmengeschichte, die Geschichte der Stiftung, aber auch der Villa Hügel. Hier erfährt man auch interessante Trivia. Etwa, dass die Villa insgesamt 269 Zimmer hat. Oder, dass das ganze Gelände mit seinen Park- und damals auch noch Wirtschaftsanlagen ganze 8.100 Quadratkilometer groß ist. Kann das mal schnell jemand in Fußballfelder umrechnen? Wer eine Schwäche für alte Industriefotografie hat, kommt hier auf seine Kosten. Die Ausstellung zeigt viele Fotografien des alten Werksgeländes.

Soziale Einrichtungen und nationalsozialistische Vergangenheit

In der Ausstellung werden nicht nur wirtschaftshistorische, sondern auch sozialhistorische Aspekte beleuchtet. So widmet sich ein Teil der Ausstellung auch den sozialen Einrichtungen, die die Firma für die Arbeiter und ihre Familien geschaffen hat. Dazu gehörten neben Werkswohnungen auch Konsumgenossenschaften, in denen Krupp-Beschäftige günstig Lebensmittel kaufen konnten. Aber auch Kunst- und Kulturangebote, sowie eine soziale Absicherung der Familie im Todes- oder Arbeitsunfähigkeitsfall, die ein wenig an moderne Krankenkassen erinnerte.

Freilich kam man nur so lange in den Genuss dieser Vorteile, wie man bei Krupp beschäftigt war. Alle Ansprüche verfielen, wenn ein Arbeiter entlassen wurde oder die Firma freiwillig verließ. Somit waren diese Einrichtungen bei allen guten Absichten auch ein Druckmittel, um die Arbeiter an das Unternehmen zu binden. So überlegte es sich ein Arbeiter sicher zweimal, ob er beispielsweise durch Gewerkschaftstätigkeit eine Kündigung riskierte.

Historisches Arbeitszimmer von Alfried Krupp mit Schreibtisch und Bücherregalen
Blick ins Allerheiligste: das Arbeitszimmer von Alfried Krupp

Neben interessanten Trivia und kuriosen Exponaten wie einem metallenen Abguss der Hand von Bertha Krupp, die stets auf dem Schreibtisch ihres Gatten Alfred gestanden haben soll und die man in der Ausstellung bestaunen kann, werden auch die dunklen Kapitel der Firmengeschichte nicht ausgespart. Die Firma hat ihre Vergangenheit während der NS-Zeit aufgearbeitet. Während des Krieges waren auch bei Krupp Tausende Zwangsarbeiter, vor allem aus Osteuropa, beschäftigt. Die furchtbaren Bedingungen, unter denen sie leben und arbeiten mussten und die Grausamkeit und die Willkür, der sie ausgesetzt waren, werden in der Ausstellung benannt und aufgezeigt.

Eine neue Ära

Am Ende des Zweiten Weltkriegs beschlagnahmten die Alliierten die Villa Hügel und machten sie zum Sitz der alliierten Kohlen-Kontroll-Kommission. Die Krupps erhielten das Anwesen Anfang der 50er Jahre zurück, gaben es aber 1953 als Wohnsitz auf. Alfried Krupp von Bohlen und Halbach und seine Mutter Bertha entschlossen sich, das Anwesen der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen. Es sollte fortan vor allem Kunst, Kultur und Wissenschaft fördern. Schon bald fanden erste Kunstausstellungen in der Villa Hügel statt. Die Umgestaltung der Außenanlagen, die an englische Landschaftsgärten erinnert, erfolgte in den 1960er Jahren.

Historische Laterne vor blauem Himmel und der Villa Hügel im Hintergrund

Fazit

Wer sich für die Geschichte des Ruhrgebiets und der Stadt Essen interessiert, kommt an Krupp eigentlich nicht vorbei. Die Villa Hügel gibt einen tiefen Einblick in das Leben und Wirken dieser Familie in der Stadt Essen und darüber hinaus. Ein wenig Interesse an Wirtschafts- und Industriegeschichte sollte man aber schon mitbringen. Denn ein großer Teil der Ausstellung widmet sich der Geschichte und den Produkten der Firma Friedrich Krupp AG.

Die Geschichte der Familie ist eng verknüpft mit der Firmengeschichte, wobei auch persönliche Aspekte und Interessen in der Ausstellung eine Rolle spielen. So erfährt man etwa, dass viele der Krupps künstlerische Begabung zeigten, was vielleicht auch die Orientierung der Stiftung und das besondere Interesse der Familie an der Förderung der Kunst erklärt. So finanzierte sie zum Beispiel 2006 den Neubau des Folkwang-Museums in Essen.

Bei schönem Wetter lohnt es sich auf jeden Fall, auch noch ein wenig durch die weitläufigen Parkanlagen zu spazieren. Von hier lässt sich auch schön der Blick auf den Baldeneysee genießen. Und wenn du mit der S-Bahn anreist, kannst du gleich noch ein Stück Geschichte mitnehmen. Der Bahnhof Hügel wurde nämlich auf Antrag der Familie eigens erbaut, um Staatsgästen eine direkte Anreise zur Villa zu ermöglichen, aber auch um der Essener Bevölkerung einen Zugang zur Ruhr zu bieten. Eröffnet wurde der Bahnhof 1890 von Kaiser Wilhelm II höchstpersönlich. Eine Tafel am Bahnhofsgebäude erinnert heute noch daran.

Von sylvia1985

Liebt Geschichte und das Reisen. Aber auch Literatur, Fußball, Gaming und Heavy Metal. Und fragt sich seit Jahren, warum es eigentlich keine Wikinger-Emojis gibt.

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