Mitten im Herzen von Oslo, gleich gegenüber dem markanten roten Rathaus mit seinen zwei Türmen, liegt zwischen Cafes und Souvenirshops ein unscheinbares Gebäude. Doch hinter der gläsernen Front verbirgt sich eine Zeitreise der besonderen Art. Der Viking Planet lädt hier die Besucher ein, eine Reise in das Norwegen in der Zeit der Wikinger zu unternehmen. Wenn du schon immer mal wissen wolltest, wie es sich anfühlt, auf einem Langschiff mitzufahren, hast du hier die Gelegenheit dazu.

Virtuelle Geschichts- und Museumserfahrungen sind dank der Weiterentwicklung der VR-Technik seit einigen Jahren stark im Kommen. In vielen Städten gibt es inzwischen VR-Unterhaltungszentren, in denen man thematische virtuelle Zeitreisen unternehmen kann. Der 2019 eröffnete Viking Planet in Oslo jedoch geht einen Schritt weiter, denn er bietet mehr als nur eine VR-Reise auf einem Wikingerschiff, sondern er ist ein vollständig digitales Museum.

Impressionen aus dem Viking Planet Oslo
Der Rundgang durch den Viking Planet beginnt mit dem Film Norvegr: Hier erhält man Hintergrundinformationen zur Geschichte der Wikinger in Norwegen.

Ein völlig digitales Museum

Ein digitales Museum? Kann das wirklich funktionieren? Schließlich soll doch im Museum das Objekt im Zentrum stehen und Museumspädagogik sich immer am Exponat orientieren. Doch im Viking Planet, dies sei schon einmal vorweggenommen, gibt es kein einziges physisches Originalobjekt zu sehen. Und trotzdem ist es mehr als eine reine Unterhaltungs-Show.

Gleich zu Beginn lädt man sich die App des Museums auf sein Smartphone; kein Problem mit dem bereitgestellten Gratis-W-LAN. Die App ist in 12 Sprachen übersetzt, auch ins Deutsche, und leitet und begleitet uns durch die Ausstellung. Und dann geht es auch schon die Treppe hinab in einen schummerigen Raum. Das Museum empfiehlt, dass man den Rundgang durch die Ausstellung mit dem Dokumentarfilm „Norvegr“ beginnt, der den Besuchern eine kurze filmische Einführung zu den Wikingern in Norwegen und der Zeit und der Kultur, in der sie lebten, gibt. Der Film läuft alle 15 Minuten, und mittels Tablets an jedem Platz kann man einstellen, in welcher Sprache man den Film über die Kopfhörer hören möchte.

Blick auf eine Leinwand, auf der  in einem Film über die Wikinger in Norwegen zwei kämpfende Krieger zu sehen sind.
Über das Tablet kann man die Sprache einstellen, in der man den Film über die Geschichte der Wikinger in Norwegen hören möchte.

Einmal Vikingr sein!

Eines der Highlights ist dann die VR-Erfahrung, bei der wir die Möglichkeit haben, in die Geschichte eines Wikingers einzutauchen und auf einem Langschiff durch die nächtlichen Fjorde fahren. Dies ist selbstverständlich keine gemütliche Spazierfahrt, schließlich reisen wir gerade in die kriegerische Wikingerzeit. Unser Schiff wird mit Brandpfeilen beschossen und von Kriegern überfallen. Unsere Schiffskameraden teilen auch kräftig aus.

Blick auf schwarze Kinosessel mit Kunstlederbezug und weißen Ornamenten im Tierstil.
Hier nehmen wir Platz für die Fahrt auf dem Langschiff und tauchen in 4D in die Geschichte der Wikinger in Norwegen ein.

Diese Erfahrung findet in 4D statt, das heißt, auch die Sitze wackeln und bewegen sich im Takt der Bildszenen. Insgesamt 12 Minuten dauert das bildgewaltige Spektakel, das mehrfach pro Stunde gezeigt wird. Aufgenommen wurde der Film mit echten Schauspielern und Stuntleuten. Die Wikinger in dem VR-Erlebnis wirken also ziemlich lebendig und nicht wie leblose Puppen, wie man es in anderen VR-Events schon ab und zu mal erlebt. Die Landschaft zeigt die Gegend um Karmøy an der norwegischen Westküste.

Wikingerzeitlicher Catwalk

Doch der Viking Planet hat noch viel mehr zu bieten. Nächster Stopp: Hologramm-Theater. Dieses befindet sich gleich neben dem VR-Kino. Geboten wird hier ein wikingerzeitlicher Catwalk, bei dem wir etwas über die verschiedenen Gesellschaftsschichten der Wikingerzeit und die Kleidung, die für die verschiedenen Schichten und Regionen typisch war, lernen. Statt Supermodels in High Heels laufen hier verschiedene Personen der Wikingerzeit als Hologramm über den Laufsteg und können in Ruhe betrachtet werden. Krieger, Bauern, ein Jäger, wohlhabende Frauen und eine Bäuerin mit Kind sind ebenso zu sehen wie eine Völva (Seherin), die auf ihrem Stab reitet, ein Thræll (Sklave), reiche Kaufleute oder auch ein Skalde.

Während die übrigen lautlos auf- und abtreten, fängt Letzterer dann auch noch an zu singen, später spielt sogar ein Quartett für uns. Wer auf die Musik von Wardruna oder Einar Selvik steht, wird das hier auf jeden Fall mögen. Insgesamt 24 Personen kann man im Hologramm-Theater bestaunen. Ihre Kleidung ist größtenteils echten archäologischen Funden nachempfunden und somit als authentisch anzusehen. In der App kann man detaillierte Informationen über die Kleidung der jeweiligen Personen und ihre Bedeutung nachlesen.

Wikingerschiffe zum Anfassen

Schräg gegenüber des Hologramm-Theaters liegt „Der Helm“. Dies ist ein weiteres kleines Kino, dessen äußere Form einem typischen Wikingerhelm – selbstverständlich ohne Hörner, dafür aber mit Nasenschutz – nachempfunden ist. Hier läuft auf einer 270-Grad-Leinwand eine bildgewaltige, immersive 12 Minuten lange Film-Installation, die beeindruckende norwegische Naturgewalten und Szenen aus dem Alltag der Menschen in der Wikingerzeit zu verschiedenen Themen zeigt, begleitet von Musik und atmosphärischen Klängen. 

In einem weiteren Raum kann man die komplette Ausstellung des Wikingerschiffmuseums Oslo in 3D besichtigen. Dies ist derzeit besonders interessant, da das Vikingskiphuset auf der Halbinsel Bygdøy noch bis mindestens 2025 wegen Umbau geschlossen ist und die originalen Wikingerschiffe daher im Moment nicht besichtigt werden können. Hier hat man sogar die Möglichkeit, alle Objekte per Touchscreen zu bewegen und so jeden Quadratzentimeter des Oseberg-Schiffs, des Gokstad-Schiffs und des Tuneschiffs sowie ihrer Beifunde in Augenschein zu nehmen. Die Möglichkeit hat man im Wikingerschiffmuseum definitiv nicht, zumal die engen Ausstellungsräume dort zumindest vor dem Umbau oft zu überlaufen waren, um die Schiffe in Ruhe betrachten zu können. Somit lohnt sich die 3D-Erfahrung auch für diejenigen, die schon das Glück hatten, die Originalausstellung sehen zu können.

Lernen in 3D

Was gibt es noch zu sehen? Über verschiedene digitale Zeitleisten kann man sich zur Chronologie der Wikingerzeit informieren, über die bedeutendsten Schlachten und die wichtigsten Ereignisse. Hier gibt es aber nicht nur Bilder und Text auf den zahlreichen Bildschirmen zu sehen, sondern auch wieder 3D-Abbildungen, die man beliebig per Touchscreen verschieben kann, etwa von typischen Waffen, Schilden und Rüstungsteilen. Auch an den Bildschirmen kann man wieder seine bevorzugte Sprache einstellen, die deutsche Übersetzung wirkt professionell und nicht wie aus dem Google Translator.

Digitale Tafel mit Texten und Bildern zur Geschichte der Wikinger in Norwegen.
Wikingergeschichte an Touchscreens

Weitere bewegliche 3D-Installationen gibt es zum Langschiff, zum Langhaus, den typischen Ringfestungen, dem Danewerk – einer wikingerzeitlichen Befestigungsanlage im heutigen Schleswig-Holstein – und verschiedenen anderen Objekten der Zeit.

Und dann gibt es tatsächlich auch noch echte Objekte zu sehen, allerdings nur in 2D. An zwei Wänden kann man Fotos von zahlreichen Objekten aus der Wikingerzeit anschauen und die App liefert erneut die Hintergrundinformationen zu den archäologischen Funden. Im Zentrum steht hier die Kultur der Wikinger, z. B. die Kunst, Religion und Kult, aber auch Alltagsthemen wie Währung, Kalender, Hygiene – die übrigens weit besser war, als viele annehmen – oder auch gesellschaftliche Themen wie Sklaverei oder Umgang mit dem Alter.

Runen und Gamification

Eine weitere Station beschäftigt sich mit der Runenschrift. Diese wurde bereits vor der Wikingerzeit entwickelt und war im ganzen skandinavischen Raum währenddessen gebräuchlich und trotz der Christianisierung Norwegens ab dem 10. Jahrhundert und der damit verbundenen Einführung der lateinischen Schrift und Sprache auch noch im Hochmittelalter in Gebrauch.

Eine schwarze Tafel, auf der in grüner Leuchtschrift Runen zu sehen sind.

In einem vollständig digitalen Museum darf das Thema Gamification natürlich nicht fehlen: An einer VR-Station oben im Shop-Bereich können mehrere Spieler gleichzeitig mit VR-Brillen und Controllern das VR-Game „Ferd“ spielen. In diesem Game schlüpfst du in die Rolle eines Wikinger-Kriegers, dessen Dorf von feindlichen Kriegern überfallen wird. Deine Mission: Mit Pfeil und Bogen oder dem Schwert in drei Leveln möglichst viele von ihnen nach Valhall zu befördern.

Achtung: Die VR-Gaming-Experience muss man separat zum Eintritt buchen und bezahlen. Es gibt ein Kombiticket, es ist aber auch möglich, nur das Gaming zu buchen. Du bist kein Gamer oder das VR-Game ist dir ein bisschen zu viel Action? Es geht auch eine Nummer sanfter: Über die Viking Windows im Museumsbereich kann man in die Rolle einer Person schlüpfen, seinen Charakter individuell erstellen und jeweils eine kleine Geschichte „durchspielen“. Nebenbei erfährt man so viele interessante Hintergrundinfos zur Wikingerzeit. Ganz nett gemacht, aber für geübte Gamer wohl eher unspektakulär. Dafür aber im Museumseintritt enthalten.

Eine Selfiebox bietet dann noch die Möglichkeit vor einem Greenscreen coole Wikingerfotos oder Videos zu machen. Bei meinem Besuch hat sie aber leider nicht funktioniert, anscheinend hatte sich das System aufgehangen. Das ist natürlich einer der Nachteile bei einem digitalen Museum: technische Probleme sind immer mal möglich. Für mich persönlich ist es aber verschmerzbar, dass ich jetzt kein Selfie von mir als Schildmaid besitze, auch wenn es natürlich ein echt cooles Profilbild für Instagram abgegeben hätte.

Blick in ein kleines Kino in Form eines Wikingerhelms.
Blick in den “Helm”: Hier sind immersive Aufnahmen zur Geschichte der Wikinger in Norwegen zu sehen.

Fazit

Aber nun zu der Frage: Lohnen sich die über 20 Euro Eintritt, obwohl man im Viking Planet kein einziges originales Objekt besichtigen kann? Meiner Meinung nach ja. Ich habe gute zwei Stunden im Museum verbracht, und konnte nicht nur dank der VR-Erfahrung wunderbar in die Wikingerzeit abtauchen. Das Konzept des Museums verbindet Experience und Learning. Historische Fakten werden mit modernster Technik aufbereitet und zugänglich gemacht. Bei der Konzeption der Filme arbeitete die Regie auch mit dem auf die Wikingerzeit spezialisierten Historiker Kim Hjardar zusammen, damit alle Details historisch korrekt sind. Der Viking Planet eignet sich sowohl für Einsteiger in die Wikingergeschichte als auch für eingefleischte Wikingerfans, die glauben, bereits alles über die Zeit zu wissen, so wie ich. 😉

In den nächsten Jahren sollen noch weitere Viking Planets in Norwegen und auch im Ausland entstehen. Ob diese identisch zu dem Osloer Museum aufgebaut sein werden oder jeweils einem eigenen, zum Ort passenden Konzept folgen, darauf dürfen wir gespannt sein.

Reisetipp:

Du hast noch nicht genug Wikingergeschichte? Und nach all dem digitalen Kram willst du jetzt endlich echte wikingerzeitliche Objekte sehen? Dann kannst du deinen Besuch im Viking Planet mit einem weiteren Museum verbinden: Das Kulturhistorische Museum der Universität Oslo liegt nur wenige Gehminuten vom Viking Planet entfernt und bietet mit „VIKINGR“ und „Fabulous Animals – From the iron age to the Viking age“ gleich zwei interessante Dauerausstellungen mit Bezug zur Zeit der Wikinger, vor allem in Norwegen. Hier kann man unter anderem den Helm von Gjermundbu im Original bewundern. Dies ist der berühmte Brillenhelm, der in Norwegen gefunden wurde und in fast jedem Buch über die Wikinger abgebildet ist. Dazu gibt es zahlreiche andere Objekte wie Schwerter, Münzen, Schmuck und andere Objekte zu sehen.

Von Sylvia S

Liebt Geschichte und das Reisen. Aber auch Literatur, Fußball, Gaming und Heavy Metal. Und fragt sich seit Jahren, warum es eigentlich keine Wikinger-Emojis gibt.

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