Bilder sind mächtig. Ein einziges starkes Foto kann mehr bewirken als viele wohlgewählte Worte. Fotografie und bewegte Bilder sind daher schon immer auch für politische Zwecke eingesetzt worden. Ab den 1920er Jahren wurde die Technologie fortschrittlicher, die Kameras handlicher und die Fotografie massentauglich. Der politische Aufstieg der NSDAP fällt genau in diese Zeit. Somit ist es wenig überraschend, dass die Nazis um die Macht der Bilder wussten und sie geschickt für sich nutzten. Gezielte Inszenierung spielte stets eine große Rolle in ihrer Außendarstellung. Und kaum ein Ort ist bis heute mit dieser Inszenierung so sehr verknüpft wie das Reichsparteitagsgelände in Nürnberg.
Öffentliche Inszenierung
Wenn es um Außendarstellung ging, überließen die Nazis nur wenig dem Zufall. Schon die Machtübernahme 1933 wurde der Öffentlichkeit kriegerisch als „Machtergreifung“ verkauft, obwohl Hitler gar nichts erobert und auf normalem, rechtsstaatlichem Wege zum Reichskanzler ernannt wurde — wenn auch in einer politisch extrem angespannten Lage, bei der die Weimarer Republik in ihrer Spätphase vor einer Zerreißprobe stand. Und diese Inszenierung wirkt immer noch nach. Noch heute verwenden viele Menschen unreflektiert und arglos den Terminus „Machtergreifung“, wenn sie über den 30. Januar 1933 sprechen, ohne zu wissen, dass dieser sachlich falsch und ein Begriff der NS-Propaganda ist.
Da die Nazis so viel Wert auf öffentliche Inszenierung legten, sollten auch die Reichsparteitage als eine Machtdemonstration mit Aufmärschen aller Organisationen des NS-Staates, religionsähnlicher Verehrung der Person Adolf Hitlers und als Ausdruck der engen Verbindung zwischen Volk und Staat fungieren. Sie sollten starke Bilder erzeugen, die im In- und auch im Ausland wirken. Nürnberg bot von 1933 bis 1938 die Bühne für die aufwändig choreografierten Veranstaltungen, die zum Teil über eine Woche dauerten und in Spitzenzeiten wohl bis zu einer halben Million Besucher anzog.
Rundgang mit oder ohne digitale Begleitung
Die Überreste des Reichsparteitagsgeländes in der Nähe des Dutzendteichs sind heute noch zu besichtigen und kostenlos zugänglich für Besucher. Das Gelände lässt sich, wenn man gemütlich geht, in einem etwa 90-minütigen Rundgang erkunden. Insgesamt 23 Stelen vermitteln Hintergrund-Informationen zu den Bauten. Wer möchte, kann sich zusätzlich digital von einer App begleiten lassen. Die Media-Guide-App „Das Gelände“, die sowohl für iOS als auch für Android verfügbar ist, liefert Zusatzinformationen, ermöglicht einen Vergleich historischer Aufnahmen mit dem heutigen Zustand und lässt sich auch von zuhause aus als virtueller Geländerundgang nutzen.
Unvollendeter NS-Größenwahn
Obwohl manche Bauwerke des Reichsparteitagsgeländes wie die Zeppelintribüne allmählich zu verfallen beginnen, vermitteln die Überreste sehr anschaulich die Gigantomanie, die so typisch für Nazi-Architektur war. Die Große Straße, die breiter ist als manch eine Autobahn, über die ich schon gefahren bin, hat eine beklemmende Wucht. Es fällt nicht schwer, sich die riesigen Aufmärsche vorzustellen, die hier über das Pflaster marschiert sind.
Dabei wurden nicht mal alle geplanten Bauten des Reichsparteitagsgeländes umgesetzt, die meisten Bauarbeiten wurden mit Beginn des Zweiten Weltkriegs eingestellt. Wie etwa die Pläne für das Deutsche Stadion: Dieses sollte mehr als 400.000 (!) Zuschauer fassen können. Wenn man schon einmal in den Genuss des Anreisechaos bei normalen Bundesliga-Fußballspielen mit deutlich geringeren Zuschauerzahlen gekommen ist, fragt man sich bei solchen Zahlen unweigerlich, wie man alleine die Anreise so vieler Menschen organisatorisch hätte steuern wollen. Diese Pläne blieben dann mit Beginn des Kriegs auch ein Hirngespinst. Es kam zwar zur Legung des Grundsteines, den man auch heute noch sehen kann, und auch die Baugrube wurde ausgehoben, diese lief dann aber später mit Grundwasser voll.
Relikte
Zeppelinfeld und Zeppelintribüne dagegen wurden fertiggestellt und boten die Kulisse für die öffentlichkeitswirksame Nazi-Choreografie, die optisch von leistungsstarken Scheinwerfern und anderen Gestaltungselementen untermalt wurde. Weitere fertiggestellte Gebäude sind die ehemalige Trafo-Station, in der sich heute ein Schnellrestaurant einer amerikanischen Burgerkette befindet und das Städtische Stadion, das heute den Namen Max-Morlock-Stadion trägt und dem 1. FC Nürnberg als Spielstätte dient.
Eines der gigantischsten Bauwerke auf dem Reichsparteitagsgelände, die tatsächlich fertiggestellt wurden, war die Kongresshalle mit ihrem halbrunden Grundriss. Der Großteil des Bauwerks wird heutzutage als Lagerhalle genutzt, dort befindet sich aber auch das Dokumentations- und Besucherzentrum des Reichsparteitagsgeländes. Zumindest beim ersten Besuch des Geländes lohnt es sich, ein paar Euro für den Eintritt zu investieren.
Interessante Dauerausstellung
Die Dauerausstellung führt die Besucher in chronologischer Reihenfolge durch die zwölf Jahre der NS-Diktatur. Sie schildert, wie Nürnberg zur Stadt der Reichsparteitage wurde. Positiv fällt auf, dass gar nicht versucht wird, die Rolle der Stadt klein zu reden, sondern sich kritisch damit auseinandersetzt. Die Ausstellung spricht sehr deutlich an, dass die NS-Ideologie in Nürnberg bereits früh sehr erfolgreich war und auf recht wenig Gegenwind stieß. Die Stadt hatte sich damals sehr aktiv darum bemüht, den Zuschlag für die Ausrichtung der Reichsparteitage zu bekommen.
Die Dauerausstellung enthält einige Objekte, vor allem aber Texttafeln, viele Fotos und auch Audio- und Videomaterial. Auch ein Audioguide steht natürlich zur Verfügung. Sie vermittelt das nötige Hintergrundwissen, z. B. zum Aufstieg der NSDAP während der Weimarer Republik, die Machtübernahme 1933, aber auch zum Beginn der Diktatur mit Gleichschaltung, „Führerkult“ um Adolf Hitler und die Ideologie der „Volksgemeinschaft“. Neben dem Zweiten Weltkrieg behandelt ein Teil der Ausstellung auch den Antisemitismus und die Verfolgung der jüdischen Bevölkerung.
Denn auch in dieser Hinsicht ist Nürnberg durch die sogenannten „Nürnberger Rassegesetze“ ein unrühmliches Symbol geworden. Die Rassegesetze wurden im Anschluss an den Reichsparteitag 1935 dort beschlossen und bildeten die eine gesetzliche Grundlage für die Diskriminierung, Enteignung und letztlich auch Verfolgung und Ermordung von Juden, aber auch Sinti und Roma oder anderer Gruppen, die vom „rassischen“ Idealbild der Nazis abwichen. Auch der Zweite Weltkrieg, das Kriegsende mit der Einnahme Nürnbergs durch amerikanische Truppen und die Nürnberger Prozesse ab 1946 sind Teil der Ausstellung.
Alltag der Reichsparteitage
Ein Fokus der Ausstellung liegt natürlich auf Nürnberg während der NS-Zeit und auf den Reichsparteitagen, die als staatliches Ritual abgehalten wurden. Ein interessanter und wenig bekannter Aspekt dabei sind die Schilderungen des Alltags während der mehrtägigen Veranstaltungen. Neben den offiziellen Teilnehmern der verschiedenen NS-Organisationen kamen auch viele Besucher in die Stadt, um das Spektakel mitzuerleben.
Abseits von Paraden, gigantischen Aufmärschen, ehrfürchtiger Heldenverehrung und der Idealvorstellung von sportlichen germanischen Menschen kam es zu Szenen, die man lieber unter Verschluss halten wollte. Zum einen gab es viele organisatorische Probleme. Dazu zählte etwa die Tatsache, dass es viel zu wenige Sanitäranlagen für die vielen Menschen gab, sodass diese ihre Notdurft dann beispielsweise in Vorgärten oder auch am Rande der Aufmarschplätze verrichten mussten und eine Menge Gestank und Dreck produzierten.
Doch auch das Verhalten der Teilnehmer und Besucher abseits der offiziellen Veranstaltungen entsprach offenbar zum Teil nicht ganz der NS-ideologischen Wunschvorstellung. Nicht alle hielten sich an den streng geplanten Ablauf. Interne Berichte schildern Ausschweifungen, Schlägereien, Trinkgelage und unzüchtiges Verhalten. Klingt irgendwie alles ein bisschen nach dem, was wir heute von Festivals kennen…
Disclaimer: Seit Anfang 2021 ist die Dauerausstellung des Reichsparteitagsgeländes leider wegen Umbaus und Neukonzeption geschlossen. Bis zur Fertigstellung, die für 2025 geplant ist, kann man eine kleinere Interimsausstellung im Dokumentationszentrum besuchen. Die alte Dauerausstellung ist außerdem in einem sehr gelungenen virtuellen Rundgang inklusive Audioguide auf der Website des Dokumentationszentrums aufbereitet und kann dort angeschaut werden.
Fazit
Wenn du das Reichsparteitagsgelände besuchen möchtest, würde ich empfehlen, zuerst das Dokumentationszentrum zu besuchen und dann den Rundgang über das Gelände zu starten, zumal die ehemalige Kongresshalle, in der sich das Zentrum befindet, auch schon einer der ersten fertiggestellten Bauten und ein guter Startpunkt ist.
Vom Kongresszentrum führt der Rundweg dann am malerischen Dutzendteich vorbei, auf dem man Tretboot fahren kann und Wasservögel planschen – fast ein wenig skurril angesichts der Vergangenheit des Geländes. Und doch entspricht es heute wieder der historischen Nutzung. Denn bevor es in einen Schauplatz der Inszenierung von NS-Größenwahn umgewandelt wurde, war es das, was es heute wieder ist: ein schönes Naherholungsgebiet für die Nürnberger Bevölkerung.
Infos kompakt*
Reichsparteitagsgelände Nürnberg
Anschrift: Bayernstr. 110, 90478 Nürnberg
Anfahrt mit dem ÖPNV: Mit dem Bus oder der Tram bis Haltestelle Doku-Zentrum oder mit der S-Bahn bis Dutzendteich Bahnhof
Öffnungszeiten: Mo – So: 10 – 18 Uhr
Eintritt: Erwachsene: 6 Euro
Ermäßigt (u. a. Kinder und Jugendliche, Studierende und weitere): 1,50 Euro
Ermäßigungen für Gruppen
Öffentliche Führungen: ja, siehe Website
Barrierefreiheit: siehe Website
Museumsshop: ja, ausschließlich Literatur
Gastronomie vor Ort: nein
Website: https://museen.nuernberg.de/dokuzentrum
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