Copyright: Stiftung Haus der Geschichte/Christoph PetrasCopyright: Stiftung Haus der Geschichte/Christoph Petras

An Bahnhöfen herrscht oft geschäftiges Treiben. Es sind Orte der Bewegung, Orte des Ankommens und des Aufbruchs. Der Bahnhof Friedrichstraße in Berlin war dagegen lange Zeit vor allem ein Ort des Abschieds – nicht selten auch der eines Abschieds für immer. So kam er auch zu seinem ungewöhnlichen Spitznamen: Tränenpalast.

Die Teilung

Der Bahnhof Friedrichstraße war während der deutschen Teilung einer der Grenzübergänge zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR. Von hier fuhren S- und U-Bahnen nach West-Berlin ab. Die Ausreisehalle, in der sich heute das Museum Tränenpalast befindet, wurde 1962, also ein Jahr nach dem Bau der Berliner Mauer, errichtet.

Der Tränenpalast Berlin von der Seite.  Copyright: Stiftung Haus der Geschichte/Axel Thünker
Seitenansicht des Tränenpalastes.
Copyright: Stiftung Haus der Geschichte/Stephan Klonk

Die Schließung der deutsch-deutschen Grenze im Jahr 1961 riss von einem Tag auf den anderen Familien, Freunde, Arbeitskollegen und Paare brutal auseinander. Denn bis zum Bau der Mauer war die Grenze im Alltag wenig spürbar. Die Menschen lebten zwar bereits seit 1949 auf dem Papier in zwei verschiedenen Staaten und auch in zwei unterschiedlichen politischen Systemen. Dennoch fühlten sie sich als ein Volk und es gab zahlreiche Verbindungen – sowohl private als auch berufliche. Gerade in Berlin, wo die Grenze mitten durch die Stadt verlief, war es nichts Ungewöhnliches, wenn man beispielsweise im Osten wohnte, aber seine Arbeitsstelle im Westen hatte. Und auch Familien lebten natürlich zum Teil in verschiedenen Stadtteilen, manche im Osten, manche im Westen der Stadt.

Transit nur für Westdeutsche

Eindrucksvoll zeigt ein großes Modell in der Dauerausstellung des Museums, wie ganze Bahngleise in den Westen demontiert wurden, um Fluchtversuche mit gekaperten Zügen zu unterbinden. Der Bahnhof wurde zwar weiterhin als Teil der Transitstrecke von West-Berlin in die Bundesrepublik genutzt. Jedoch fuhren die Züge unterirdisch und zum Teil in verschlossenen Waggons. Und natürlich durften nur Westdeutsche mitfahren.

Blick in die Ausstellung im Tränenpalast Berlin. Copyright: Stiftung Haus der Geschichte/Christoph Petras
Blick in die Ausstellung
Copyright: Stiftung Haus der Geschichte/Christoph Petras

Ab 1961 war es mit Besuchen von DDR-Bürgern in den Westen weitgehend vorbei. Ohne Reisegenehmigung durfte niemand in den Westen reisen. Gerade in den ersten Jahren nach dem Mauerbau wurden diese Genehmigungen aber fast nie erteilt, und wenn, nur an politisch absolut zuverlässige, also sehr systemtreue Personen. Bürger der Bundesrepublik durften weiterhin in die DDR einreisen, nicht zuletzt deswegen, weil sie die dringend benötigten Devisen ins Land brachten. Die Ausreisehalle war in den ersten Jahren der Ort, an dem die DDR-Bürger ihre Verwandten aus dem Westen nach deren Besuch verabschiedeten.

Reise-Erleichterungen

Im Berliner Volksmund hieß die Halle bald „Tränenpalast“, denn hier flossen tatsächlich viele Tränen. Die Menschen verabschiedeten sich hier von ihren Liebsten aus dem Westen und wussten oft nicht, wann sie sich das nächste Mal wiedersehen können. Dies galt insbesondere, wenn die Verwandten aus West-Berlin kamen. Denn bis 1972 der Besuchsverkehr für West-Berliner geregelt wurde, galt die generelle Einreiseerlaubnis für BRD-Bürger für sie nicht. Besuche waren entsprechend nur sehr selten möglich. Mit dem Abschluss des Grundlagenvertrags zwischen der BRD und der DDR wurden Besuche erleichtert und auch der Transitverkehr wurde erleichtert. Die Ausreisebestimmungen für DDR-Bürger blieben aber streng, Reisen in den Westen waren für die meisten unmöglich.

Blick in die Ausstellung im Tränenpalast Berlin. Copyright: Stiftung Haus der Geschichte/Christoph Petras
Copyright: Stiftung Haus der Geschichte/Christoph Petras

Im Transitbereich des Bahnhofs entstanden sogenannte „Intershops“ – dies waren Geschäfte, in denen Westdeutsche und Ausländer meist hochwertige DDR-Produkte kaufen konnten, natürlich mit harter D-Mark. Die Produkte, die es hier zu kaufen gab, landeten oft nicht im normalen Handel und waren für die meisten normalen DDR-Bürger, wenn überhaupt, nur unter der Hand oder mit guten Beziehungen zu bekommen. Die Westdeutschen nutzten gerne die Möglichkeit, in den Intershops günstig Zigaretten oder Schnaps zu erstehen. Man kann es sich also wohl ein bisschen vorstellen wie die Duty-Free-Shops an den Flughäfen in der heutigen Zeit. Im Museum Tränenpalast Berlin gibt es einen kleinen Nachbau eines solchen Intershops, sodass man einen Eindruck bekommt, wie sie ausgesehen haben.

Ausweisungen

In der späteren Phase der DDR ab den 1980er Jahren gab zunehmend andere Gründe für Tränen am Bahnhof Friedrichstraße: Denn nun reisten von hier immer mehr DDR-Bürger in den Westen aus, denen die Staatsführung wegen „staatsfeindlichen Verhaltens“ die DDR-Staatsbürgerschaft aberkannte und sie also buchstäblich aus dem Land warf. Es kam auch häufiger vor, dass die BRD Menschen aus der DDR freikaufte.

Wer zu einer dieser Gruppen zählte und am Bahnhof Friedrichstraße ein letztes Mal seine Lieben in die Arme schloss, konnte zu dieser Zeit kaum davon ausgehen, sie jemals wiederzusehen. Die Wiedervereinigung war in den 1980er Jahren alles andere als absehbar. Eher sah alles danach aus, als würde Deutschland noch für lange Zeit geteilt bleiben. Personen, die von der DDR des Landes verwiesen wurden, konnten nicht auf eine Einreisegenehmigung zu Besuchszwecken hoffen – schließlich wollte man sie ja gerade deshalb aus dem Land haben, damit sie aus Sicht der DDR-Führung keinen politischen Schaden mehr anrichten konnten.

Blick in die Ausstellung im Tränenpalast. Copyright: Stiftung Haus der Geschichte/Christoph Petras
Copyright: Stiftung Haus der Geschichte/Christoph Petras

Alltag der Teilung

Der Tränenpalast in Berlin ist zu einem Symbol der deutschen Teilung geworden. Heute ist er ein Museum, das von der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland betrieben wird. Die interessante Dauerausstellung mit dem Titel „Grenzerfahrungen – Alltag der deutschen Teilung“ ist in mehrere Abschnitte geteilt und fokussiert wie im Namen schon anklingt vor allem die privaten deutsch-deutschen Beziehungen. Einen Teil der Exponate machen daher auch persönliche Gegenstände aus, die ehemalige DDR-Bürger dem Museum zur Verfügung gestellt haben. Der Rundgang beginnt mit der Geschichte des Mauerbaus, der wie eingangs erwähnt, den tatsächlichen Beginn der deutschen Teilung für Menschen markierte. Hier werden zwar auch die historischen Hintergründe vermittelt, doch im Fokus stehen immer die Menschen und die Auswirkungen der Geschehnisse auf sie.

Es geht in der Ausstellung vor allem darum, wie die Menschen die Teilung im Alltag erlebt habe. Dazu zählen zum Beispiel auch die berühmten „West-Pakete“ – Pakete mit begehrten Westgütern, die DDR-Bürger mit Westverwandtschaft von Zeit zu Zeit erhalten durften. In der Mitte der Halle sind Kontrollschalter aufgebaut, wie sie zu DDR-Zeit für die Grenz- und Passkontrollen genutzt wurden und die Besucher können hier den Ablauf der Grenzkontrollen nachvollziehen. Die Kabinen wirken schäbig, und der Durchgang ist schmal. Es ist beklemmend, sie zu durchschreiten und man kann sich gut vorstellen, um wieviel eindrucksvoller dies noch mit einem streng dreinblickenden DDR-Grenzposten hinter der Scheibe gewesen sein muss.  

Blick in die Kontrollschalter im Tränenpalast Berlin. Copyright: Stiftung Haus der Geschichte/Axel Thünker
Blick in die Kontrollschalter im Tränenpalast. Copyright: Stiftung Haus der Geschichte/Axel Thünker

Fluchterfahrungen

Ein sehr persönlicher und berührender Teil der Ausstellung im Tränenpalast Berlin sind die „Koffergeschichten“. Hier geht es vor allem um das Thema Flucht. Die sogenannte „Republikflucht“ war in der DDR ein Kapitalverbrechen. Viele Menschen wurden im Laufe der Jahrzehnte bei Fluchtversuchen erschossen, wer lebend gefasst wurden, hatte meist lange Haftstrafen zu erwarten. Kindern wurden den Eltern weggenommen und in staatliche Obhut gegeben und auch nach der Haftentlassung blieben die Menschen weiter unter Beobachtung.

Ein Fluchtversuch war also mit einem hohem persönlichen Risiko verbunden und trotzdem gingen zigtausende Menschen dieses Risiko ein, weil sie das Leben in der SED-Diktatur nicht mehr aushalten konnten und in Freiheit leben wollten. Im Abschnitt „Koffergeschichten“ erzählen Menschen, denen die Flucht geglückt ist, von ihren Motiven und darüber, wie sie ihre Flucht geplant und durchgeführt haben. Ausgestellt sind auch Koffer und Teile ihrer persönlichen Dinge, die sie bei der Flucht dabei hatten. Manchen gelang es sogar, bei ihrer Flucht sensible Dokumente oder Fotos mitzunehmen, die Aufschluss über das Regime gaben.

Blick in die Ausstellung des Tränenpalast Berlin. Copyright: Stiftung Haus der Geschichte/Christoph Petras
In der Ausstellung erzählen Menschen ihre Flucht-Geschichte.
Copyright: Stiftung Haus der Geschichte/Christoph Petras

Schwierige Wiedervereinigung…

Die Ausstellung schließt mit der Wiedervereinigung Deutschlands ab. Es ist vermutlich nicht übertrieben zu sagen, dass diese ein schwieriger und mindestens holpriger Prozess war. Von heute auf morgen lebten die Menschen in einem gänzlich anderen System und alles, was sie gelernt und woran sie vielleicht auch geglaubt hatten, hatte plötzlich keine Bedeutung mehr.

Dazu kam die Abwanderung qualifizierter Fachkräfte in den Westen, die Übernahme von Firmen und Infrastruktur durch West-Unternehmen, eine bis heute im Osten oft gefühlte Marginalisierung und Nicht-Anerkennung der eigenen Lebensleistung sowie viele andere Probleme, die bis in die heutige Zeit nachwirken. All dies verdient es, aufgearbeitet zu werden und der Wiedervereinigung und der Wendezeit vielleicht auch sogar mal ein eigenes Museum zu widmen.

… und trotzdem wichtig!

Und dennoch: Ein Besuch im Tränenpalast Berlin macht eindringlich deutlich, dass die Wiedervereinigung trotz all der Herausforderungen, die sie mit sich gebracht hat, ein grausames Unrechtssystem beseitigt hat, das Familien voneinander getrennt hat und in dem man in Haft landen konnte, wenn man anders dachte. Ein System, das Menschen erschossen hat oder sie jahrelang ins Gefängnis gesteckt hat, einfach nur, weil sie selbst entscheiden wollten, wo sie leben.

Heute kann ein Vater, der in Thüringen lebt, selbstverständlich zur Hochzeit seines Sohnes oder zur Taufe seiner Enkel nach Nordrhein-Westfalen fahren und an diesen wichtigen Familienereignissen teilhaben. Er muss dafür nicht erst einen Reiseantrag stellen, der in vielen Fällen ohnehin abgelehnt wurde. Der Tränenpalast in Berlin ist ein eindrückliches Symbol dafür, dass diese Freiheit viele Jahre nicht selbstverständlich für die Menschen in Ostdeutschland war.

Von sylvia1985

Liebt Geschichte und das Reisen. Aber auch Literatur, Fußball, Gaming und Heavy Metal. Und fragt sich seit Jahren, warum es eigentlich keine Wikinger-Emojis gibt.

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