Großes Modell einer Geschichtsmaske eines römischen Reiterhelms, Varusschlacht-Museum und Archäologischer Park Kalkriese, Niedersachsen, Geschichte, Archäologie

Eine saftige grüne Wiese liegt friedlich im Sonnenschein. In der Ferne sind Windräder zu sehen. Zu einer Seite hin steigt ein bewaldeter Hügel sanft an. Vögel zwitschern, nur ganz leise ist in der Ferne das Rauschen der nahen Bundesstraße zu hören. Es ist ein idyllisches Bild, eine hübsches Landschafts-Panorama im Osnabrücker Land. Doch dieser Ort war nicht immer so friedlich wie an diesem warmen Frühlingstag im Jahr 2023.

Vor über 2.000 Jahren erfüllte eine andere Geräuschkulisse diese Ebene: Schwertergeklirr, Schlachtgebrüll, das Wimmern der Verwundeten, die Schreie verängstigter Maultiere. Die archäologischen Funde beweisen: Hier, im niedersächsischen Kalkriese, hat einst eine große Schlacht zwischen Römern und Germanen stattgefunden. Und inzwischen spricht sehr vieles dafür, dass nach Jahrhunderten der Suche mit Kalkriese wirklich der Schauplatz der Varusschlacht gefunden wurde.

Blick auf den Archäologischen Park vom Turm aus, Varusschlacht-Museum und Archäologischer Park Kalkriese, Niedersachsen
Blick auf den Archäologischen Park vom Turm des Museums aus – der Ort der Varusschlacht?

Um diese Schlacht ranken sich vor allem in Deutschland zahlreiche Sagen. Lange war sie vor allem unter dem Namen „Schlacht im Teutoburger Wald“ bekannt. Heute wird sie meistens mit dem Namen des römischen Feldherrn bezeichnet, unter dessen Führung die Weltmacht Rom diese Schlacht und mindestens 10.000 Soldaten verlor: Publius Quinctilius Varus. Aber fangen wir mal von vorne an, denn die Varusschlacht ist bis heute eines der interessantesten historischen Rätsel. Es kommen zwar immer mehr Puzzleteile zum Vorschein, aber immer noch liegt vieles im Dunkeln.

Das Rätsel um die Varusschlacht

Was sicher bekannt ist: Im frühen ersten Jahrhundert stand der rechtsrheinische Teil von Germanien kurz davor, eine Provinz des römischen Imperiums unter seinem Kaiser Augustus zu werden. Der der linksrheinische Teil Germaniens war zu dieser Zeit bereits Provinz. Die Römer errichteten feste Lager, z. B. in Haltern am See, und führten Eroberungsfeldzüge durch.

Im Jahr 9 n. Chr. geschah das Unfassbare für die Römer. Ein zahlenmäßig deutlich unterlegenes Heer von germanischen Stammeskriegern unter der Führung eines Fürsten vom Stamm der Cherusker mit dem Namen Arminius vernichtete in einem Überraschungsangriff drei römische Legionen und brachte der damaligen Weltmacht Rom damit eine empfindliche Niederlage und eine große Demütigung bei.

Detailaufnahme einer Schriftplatte mit dem Wort HInterhalt, Varusschlacht-Museum und Archäologischer Park Kalkriese, Niedersachsen
Eine offene Feldschlacht gegen die Römer hätten die Germanen nicht gewinnen können. Also lockten sie die römischen Legionen in einen Hinterhalt.

Vieles im Dunkeln

Was wir nicht genau wissen: Wie lief die Schlacht im Detail ab? Welche germanischen Stämme waren beteiligt? Und warum in Jupiters Namen entschloss sich der Cherusker Arminius auf einmal zum Verrat an Rom? Der Sohn eines cheruskischen Fürsten war schon als kleines Kind als Geisel nach Rom verschleppt worden und hatte als Erwachsener in der römischen Armee eine steile Karriere hingelegt. Sogar die römische Ritterwürde hatte er erlangt und er hätte mit Sicherheit eine glänzende Zukunft vor sich gehabt. War Blut am Ende dicker als Wasser?

Wo war die Varusschlacht?

Was ebenfalls lange nicht bekannt war: Der genaue Ort der Varusschlacht. Dass im Jahr 9 drei römische Legionen von einem Heer von germanischen Stammeskriegern vernichtet wurden, die der Übermacht nicht nur zahlenmäßig gut um die Hälfte, sondern auch in Kriegstaktik, Ausrüstung und Disziplin deutlich unterlegen waren, wusste man lange Zeit nur aus den Überlieferungen römischer Autoren wie Tacitus oder Cassius Dio.

Wo die Schlacht aber genau stattfand, geriet schnell in Vergessenheit. Auch die antiken Geschichtsschreiber lieferten leider weder exakte Koordinaten noch sonstige Anhaltspunkte mit. Natürlich waren sie auch nicht dabei gewesen. Vielfach waren sie nicht einmal Zeitgenossen des Ereignisses, sondern schrieben die Geschichte im Nachhinein auf.

Schriftplatte mit einem Zitat aus Tacitus, Varusschlacht-Museum und Archäologischer Park Kalkriese, Niedersachsen
Schrifttafel im Park: Tacitus schrieb zwar über die Varusschlacht, doch er wurde erst 45 Jahre nach der Schlacht geboren.

Archäologische Detektivarbeit

Zumindest dieses Rätsel scheint aber inzwischen gelöst zu sein: Die Ausgrabungen und anderen wissenschaftlichen Forschungen in Kalkriese, die schon seit 1989 andauern, haben inzwischen so viele Indizien und Funde zutage gefördert, dass die Forschung inzwischen davon ausgeht, den Schauplatz der Varusschlacht hier gefunden zu haben. Dazu muss man sagen: Archäologie ist oft Detektivarbeit, und häufig müssen sich Interpretationen auf Indizien stützen. Denn anders als bei Indiana Jones markiert ein X in der Realität leider nicht den Punkt.

Das Museum

Den Rundgang über das Gelände beginnt man am besten in dem Gebäude mit der rostigen Stahlfassade, in dem sich das sehr sehenswerte Museum befindet. Das 2002 eröffnete Museum zeigt spannende Funde aus den Ausgrabungen, bereitet aber auch den historischen Hintergrund der Schlacht und auch die wissenschaftlichen Forschungen anschaulich für die Besucher auf. In diesem Fall ist nicht nur das Ereignis selbst von historischer Bedeutung, sondern auch vieles von dem, das drumherum passierte.

Rostrotes Stahl-Gebäude des Museums mit Turm, Varusschlacht-Museum und Archäologischer Park Kalkriese, Niedersachsen
Das Varusschlacht-Museum in Kalkriese

Clash of Cultures

Am Eingang begrüßt uns ein riesiges Modell des wahrscheinlich berühmtesten Artefakts, das in Kalkriese gefunden wurde: die Gesichtsmaske, die vom Helm eines römischen Reiterkriegers stammt. Der erste Teil der Ausstellung vermittelt zunächst wichtiges Hintergrund-Wissen über die Römer und Germanen. Ihre Kulturen werden – ohne Wertung – einander gegenübergestellt. Hierbei beleuchtet die Ausstellung verschiedene Aspekte: Gesellschaftsstruktur, Aufbau der Siedlungen, Kunst und Kultur, Militär, aber auch Handwerk und die verwendeten Materialien. Dies geschieht mittels verschiedener Modelle und einiger Rekonstruktionen von archäologischen Funden, ergänzt um kurze Texte.

Es gibt zudem Schrifttafeln, die den historischen Hintergrund sowohl in deutscher als auch in englischer Sprache erklären. Die Länge der Texte ist absolut im Rahmen. Wer aber dennoch keine Lust zum Lesen hat, kann sich den Audioguide auf dem eigenen Smartphone zu Gemüte führen. Oder man macht so wie ich beides, denn der Audioguide bietet noch mehr, zum Beispiel eine zum Thema passende Geräuschkulisse und kurze Zitate antiker Autoren.

Am Ende dieses Abschnitts wird einem noch deutlicher, wie absolut unwahrscheinlich ein Sieg der Germanen über die Römer eigentlich war. Nicht, weil sie irgendwie dümmer oder primitiver als die Römer gewesen wären, wie es in der Vergangenheit manchmal gern kolportiert wurde. Aber die Römer waren eine streng hierarchische Gesellschaft mit einem straff organisierten und mit äußersten Präzision gedrilltem Militär. Dazu arbeiteten sie mit stabileren, hochwertigeren Materialien und nutzten fortschrittlichere Handwerks-Techniken.

Modelle einer germanischen und römischen Kriegerausrüstung, Varusschlacht-Museum und Archäologischer Park Kalkriese, Niedersachsen
Vergleich von germanischer und römischer Kriegsausrüstung

Barbaren vs. Zivilisation?

Die Germanen hingegen charakterisierten sich zunächst mal dadurch, dass es DIE Germanen gar nicht gab. Es gab verschiedene germanische Stämme, die verstreut in kleinen Dörfern oder Weilern siedelten. Sie betrieben vor allem Landwirtschaft und lebten in relativ flachen Hierarchien zusammen. Was sie einte, war allenfalls eine mehr oder weniger gemeinsame Vorstellung ihrer Götter und vielleicht eine verwandte Sprache.

Sie waren sicher alles andere als keulenschwingende, schmutzige Barbaren. Im Gegenteil, man weiß inzwischen, dass sie Wert auf ihr Äußeres legten und sich durchaus regelmäßig wuschen. Aber sie arbeiteten vor allem mit den Materialien, die sie vor Ort zur Verfügung hatten. Amphitheater, beheizte Schwimmbäder oder auch nur Gebäude aus Stein, wie es sie im römischen Reich gab, bauten sie eben nicht. Klar, dass sie das in den Augen der Römer definitiv als unkultiviert dastehen ließ. Und so verstanden sich die Römer bei den Eroberungen ihrer Provinzen ja auch nicht als Unterdrücker, sondern auch durchaus als Botschafter, die erst die Annehmlichkeiten der Zivilisation in die eroberten Gebiete brachte.

Die Protagonisten im Fokus

Nachdem wir die beiden an der Varusschlacht beteiligten „Parteien“ kennengelernt haben, stehen an der nächsten Station ihre jeweiligen Anführer im Fokus: Arminius, dessen germanischer Name übrigens unbekannt ist – Arminius ist sein römischer Name – und Publius Quinctilius Varus. Zwei Kugeln und ein paar Hocker, hier kann man es sich gemütlich machen und einem dreiteiligen Streitgespräch lauschen, das die beiden miteinander führen. Und zwar im Jenseits, denn Arminius wurde, wie wir erfahren, einige Jahre nach der Varusschlacht von seinen eigenen Leuten ermordet. „Na, die werden schon gewusst haben, warum“, höhnt Varus in dem Gespräch.

Multimediale Station im Varusschlacht-Museum und Archäologischer Park Kalkriese, Niedersachsen
Hier streiten sich Varus und Arminius im Jenseits über ihre jeweilige Interpretation der Geschehnisse.

Diese Station macht wirklich Spaß. Die Gespräche sind unterhaltsam, teilweise richtig witzig, und gleichzeitig erfährt man eine Menge über die Vita der Beiden, ohne lange Texte lesen zu müssen. Man erfährt auch, dass Arminius, der die germanischen Hilfstruppen in der römischen Armee kommandierte, und der erfahrende Senator und Feldherr Varus sich wahrscheinlich persönlich kannten. Sie sollen sogar häufiger zusammen getrunken haben sollen. Varus wirft Arminius seinen Verrat vor. Doch dieser kontert und hält Varus die Habgier und Grausamkeit vor, mit der die Römer als Besatzungsmacht agierten. Er spricht über den großen Preis, den die besiegten Stämme für die Errungenschaften der Zivilisation zahlen mussten.

Wo war die Varusschlacht?

Im nächsten Teil geht es dann um die Entdeckung von Kalkriese als wahrscheinlichen Ort der Schlacht. Die Vermutung, dass die Schlacht hier stattgefunden haben könnte, stellte schon der berühmte Historiker Theodor Mommsen im 19. Jahrhundert an. Warum heißt die Schlacht eigentlich „Schlacht im Teutoburger Wald“, wenn sie doch nachweislich gar nicht im Teutoburger Wald stattgefunden hat? Die Erklärung: Cassius Dio erwähnt den Teutoburger Wald als Schauplatz der Stadt, doch wie schon erwähnt, war lange nicht klar, wo das gewesen sein soll.

Schließlich benannte man in der Gegend um Detmold im 19. Jahrhundert einfach so. Dann noch das Hermanns-Denkmal als Erinnerung an die Schlacht gebaut – und der Mythos war geboren. Da man im Grunde gar nichts wusste, konnte die Schlacht ja ebenso gut hier wie irgendwo anders stattgefunden haben. Anders ausgedrückt: Im Grunde war es ein genialer Marketing-Streich in einer Zeit, in der erstmals ein einheitlicher deutscher Nationalstaat existierte und ein deutsches Nationalbewusstsein aufkam. Dieses brauchte dringend historische Identifikationsfiguren und -ereignisse und da kam Arminius gerade recht. Ende der 1980er fand man in Kalkriese römische Artefakte, unter anderem Münzen und Schleudersteine. Dies war genug, um Ausgrabungen an diesem Ort zu beginnen. Der Rest ist Geschichte.

Römische Münzen in einer Vitrine, Varusschlacht-Museum und Archäologischer Park Kalkriese, Niedersachsen
Diese römischen Münzen fand man Ende der 80er in Kalkriese – ein erster Hinweis darauf, dass dies der Schauplatz der Varusschlacht gewesen sein könnte.

Schließlich kommt das Herzstück der Ausstellung: eine Auswahl der in Kalkriese gemachten Funde und der Versuch der Rekonstruktion der Schlacht. In diesem Teil ist übrigens auch das Original der schon erwähnten Reitermaske zu sehen. Nun muss man wissen: Die Varusschlacht war keine offene Feldschlacht. Eine solche Schlacht hätten die germanischen Krieger gegen die disziplinierten, gedrillten und überlegenen Römer niemals gewinnen können. Was tat Arminius also? Er nutzte das Vertrauen, das die Römer in ihn hatten und lockte die drei Legionen, die sich auf dem Rückmarsch in ihre Winterlager im Westen befanden, in einen Hinterhalt.

Die berühmte Reitermaske aus Kalkriese, Varusschlacht-Museum und Archäologischer Park Kalkriese, Niedersachsen
Wahrscheinlich der bekannteste Fund aus Kalkriese: Die Geschichtsmaske eines römischen Reiterhelms

Geländevorteil

Die Germanen nutzten geschickt ihren vielleicht einzigen Trumpf gegen die römische Militärmaschinerie: das Gelände ihrer Heimat, das sie erheblich besser kannten als der Feind, der sie unterwerfen wollte. Und die Gegend um Kalkriese war, bevor sie im Mittelalter durch intensive Landwirtschaft und später durch Trockenlegung grundlegend verändert wurde, eine feuchte Moorlandschaft, wie sie typisch für Norddeutschland war. Wald und Moor, das war eine unwirtliche, unkomfortable und wilde Natur, wie sie die meisten römischen Soldaten einfach nicht kannten. Vom Turm des Museums aus kann man die Gegebenheiten gut erkennen. Auf der einen Seite befindet sich bis heute ein bewaldeter Berg, über den die römischen Truppen mit ihrem schwerfälligen Tross unmöglich ziehen konnten. Und auf der anderen Seite befand sich damals ein großes Moor, ebenfalls unpassierbar.

Blick auf den Hügel und den Archäologischen Park, Varusschlacht-Museum und Archäologischer Park Kalkriese, Niedersachsen
Vom Turm aus kann man die Topografie erkennen: Der Hügel links im Bild war unpassierbar für die Römer. Auf der anderen Seite lag damals ein großes Moor. Es blieb ein schmaler Korridor, durch den sie ziehen mussten.

Was blieb, war ein schmaler Streifen, durch den sich schließlich mehrere Tausend Menschen über etliche Kilometer schlängelten. Und dieser Lindwurm war verletzlich, denn eine Schlachtordnung war in einem so schmalen Durchgang nicht aufrechtzuerhalten. Das nutzten die Germanen. Antike Autoren berichten, dass die Schlacht mehrere Tage gedauert hat. Immer wieder seien die Germanen aus den Wäldern hervorgebrochen, hätten den Zug angegriffen und fürchterliches Chaos gestiftet. Heute würde man das eine „Guerilla“-Taktik nennen.

Neue Erkenntnisse

Hier wird es spannend, denn Wissenschaft entwickelt sich weiter. Der Forschungsstand kann insbesondere in der Archäologie durch neue Funde plötzlich über den Haufen geworfen werden. So auch in Kalkriese: Schon in den frühen 1990ern hatten Archäologen eine Struktur ausgegraben, die als „Germanenwall“ bekannt wurde. Die Germanen hätten, so die Theorie, einen Wall errichtet. Damit hätten sie sich quasi einen „High Ground“ geschaffen, und sich so bei dem Angriff eine überlegene Position verschafft.

Modell des Germanenwalls, Varusschlacht-Museum und Archäologischer Park Kalkriese, Niedersachsen
Rekonstruktion des “Germanenwalls” – neuere Erkenntnisse sprechen eher dafür, dass dies die Überreste eines römischen Marschlagers sind.

Doch in letzter Zeit fanden die Archäologen an drei weiteren Seiten ähnliche Strukturen und dazu Spitzgräben. Solche Spitzgräben waren typisch für römische Marschlager. Gab es diesen Germanenwall also gar nicht und die Römer haben ein Lager errichtet, das die Germanen dann überrannten? Möglich ist es, denn die römische Armee ist bekannt dafür, dass sie stets Pioniere dabei hatte. Diese konnten selbst kompliziertere Strukturen in kurzer Zeit aufbauen. Die Ausgrabungen und Untersuchungen in Kalkriese gehen immer noch weiter und immer wieder kommen spannende Funde zum Vorschein. Es kann also gut sein, dass wir die Geschichte dieser Schlacht in ein paar Jahren ein wenig anders erzählen müssen, wenn es neue Erkenntnisse gibt. Das Museum bezieht die neusten Forschungen stets in die Ausstellung mit ein und greift sie in Aufklebern auf.

Plünderungen

Du merkst es wahrscheinlich schon: An dieser Stelle wird es wieder etwas nebulös. Noch hat das Gelände nicht alle seine Geheimnisse preisgegeben. Was dann wieder gesichert ist: Im Jahr 16 kehrten die Römer unter der Führung von Germanicus an den Schauplatz der Schlacht zurück. Dort bestatteten sie das, was von ihren Kameraden noch übrig war. Der Anblick, der sich ihnen bot, muss grausig gewesen sein. Die Toten lagen einfach herum, alles Wertvolle hatten die Germanen noch auf dem Schlachtfeld geplündert. Diese Praktik war soweit selbst bis in die Neuzeit nicht ungewöhnlich. Aber sie entdeckten auch Skelette, die z. B. an Bäume genagelt waren. Dies waren Überreste von Menschen, die anscheinend die Schlacht überlebt hatten und dann von den Siegern den Göttern geopfert wurden.

Bild von römischen Legionären mit Lokalisation der Originalfunde, Varusschlacht-Museum und Archäologischer Park Kalkriese, Niedersachsen
Gefunden wurden viele Metallobjekte, z.B. Überreste von Rüstungsteilen. Die Grafik im Hintergrund in Kombination mit den Funden zeigt, zu welchen Teilen der Ausrüstung die kleinen Objekte gehörten.

Die Römer sammelten die Knochen ein, die sie finden konnten und bestatteten sie in flachen Gruben. Einige von ihnen haben Archäologen bereits gefunden und ausgegraben. Viele Knochen haben sich im sauren Boden dieser Gegend allerdings nicht erhalten. Deswegen reichen Ausgrabungen alleine nicht, um Erkenntnisse zu gewinnen. Darum geht es dann im letzten Abschnitt der Ausstellung: Sie zeigt, wie interdisziplinär die Archäologie inzwischen arbeitet. Von Anthropologie, Archäozoologie, Numismatik bis Chemie waren etliche anderen Wissenschaften an den wissenschaftlichen Erkenntnissen beteiligt.

Ungeordnete Knochen mit Bodenresten, im Block geborgen, Varusschlacht-Museum und Archäologischer Park Kalkriese, Niedersachsen
Inhalt einer Knochengrube, die bei Ausgrabungen entdeckt wurde

Das Abenteuer Germanien war dann für die Römer jedenfalls bald beendet: Unter Germanicus gab es noch einige, ebenfalls verlustreiche Feldzüge. Schließlich überließen die Römer das rechtsrheinische Germanien sich selbst und versuchten nicht weiter, es zu einer römischen Provinz zu machen.

Vae victis!

Jetzt fragst du dich vielleicht: Warum reden wir eigentlich so viel über die Besiegten und so wenig über die Sieger? Es hieß doch selbst bei den Römern “Vae victis!” (Wehe den Besiegten!) Das hat einen ganz einfachen Grund: Die Germanen sind im Gegensatz zu den Römern archäologisch in Kalkriese kaum fassbar. Es gibt ganze zwei Funde, die eindeutig germanischen Ursprungs sind. Und bei denen kann man nicht einmal mit Sicherheit sagen, ob sie wirklich zu den germanischen Angreifern gehörten. Es kann auch sein, dass sie zu den germanischen Hilfstruppen innerhalb der römischen Armee gehörten. Auch die Germanen haben sicherlich Krieger in der Schlacht verloren. Aber wir können wohl getrost davon ausgehen, dass sie ihre eigenen Toten mitgenommen und ordnungsgemäß bestattet haben.

Metallfunde aus Kalkriese, Varusschlacht-Museum und Archäologischer Park Kalkriese, Niedersachsen
Es wurden viele Objekte ausgegraben – bis auf zwei Ausnahmen jedoch alle römisch. Die Germanen sind archäologisch in Kalkriese bisher schwer fassbar.

Ansonsten wissen wir leider von den Germanen nicht sehr viel. Sie besaßen keine Schrift und haben uns wenig hinterlassen. Doch auch ohne schriftliche Überlieferungen kann man sicherlich sagen, dass dieser Sieg außergewöhnlich war. Er stellte die damalige Weltordnung zumindest für kurze Zeit völlig auf den Kopf. Es ist eine klassische David-gegen-Goliath-Geschichte. Und wie im biblischen Vorbild gewinnt der Underdog.

Rezeption der Varusschlacht

Eine solche Geschichte bietet natürlich reichlich Stoff für Legenden und auch für politische Vereinnahmung. Die „Hermanns“-Verehrung im 19. Jahrhundert ist bereits an früherer Stelle angeklungen. Auch für die Nazis war der germanische Held zunächst ein gefundenes Fressen. Dies ließ allerdings später nach, weil die Nazis ja einen eigenen „Führer“ hatte, der im Zentrum eines mystischen Heldenkults stand. Wenn dich das interessiert, schau gerne mal in den Artikel zum Reichsparteitagsgelände.

Infotafeln im Turm, Varusschlacht-Museum und Archäologischer Park Kalkriese, Niedersachsen
Die Installationen im Turm greifen die Entwicklung auf, wie die Varausschlacht im Laufe der Jahrhundert rezipiert wurde.

Am Ende der Ausstellung steigen wir einen großen Turm hinauf. Hier ist auf großen Tafeln die Rezeptionsgeschichte von Arminius und der Varusschlacht über die Jahrhunderte aufbereitet. Auf der Aussichtsplattform lassen sich die topografischen Gegebenheiten des Geländes gut nachvollziehen. Gut zu erkennen ist ein Streifen aus Metallplatten, der sich durch den Archäologischen Park zieht. Er markiert den Weg, den die römischen Truppen genommen haben.

Der Park

Vom Turm gelangen wir dann auch auf direktem Wege wieder vor den Eingang des Museums. Wenige Meter weiter beginnt der Rundgang durch den Archäologischen Park.

Blick in den Archäologischen Park mit Metallstelen, Metallplatten-Weg und rostrotem Pavillon, Varusschlacht-Museum und Archäologischer Park Kalkriese, Niedersachsen
Blick in den Archäologischen Park

Wir folgen den Platten, die den Weg der römischen Legionen durch die Engstelle nachzeichnen. Unterbrochen wird er immer wieder durch Schrifttafeln, die den historischen Hintergrund erklären und Überlieferungen antiker Autoren aufgreifen.

Metallplatten, die den Weg der Römer nachzeichnen, Varusschlacht-Museum und Archäologischer Park Kalkriese, Niedersachsen
Auf den Spuren der römischen Legionen verläuft dieser Weg aus Stahlplatten.

Der Park soll die Besucher dazu einladen, ihren Besuch im Museum und die Ereignisse des Jahres 9 n. Chr. zu reflektieren und sich gedanklich in die Zeit zu versetzen. Hier wurde keine Schlacht rekonstruiert, sondern ein Ort geschaffen, der Bilder im Kopf entstehen lassen soll.

Metallstelen als Markierung des Germanenwalls, Varusschlacht-Museum und Archäologischer Park Kalkriese, Niedersachsen
Diese Stelen markieren den Verlauf des Walls – der in Wirklichkeit vielleicht die Reste eines römischen Marschlagers sind.

Eine lange Reihe von Metallstelen symbolisiert den Verlauf des Walls. Wie wir schon gelernt haben, war er in Wirklichkeit vielleicht die Begrenzungsmauer eines römischen Marschlagers. Insgesamt drei stählerne Pavillons sollen die Sinne und die Vorstellungskraft der Besucher anregen. Im Pavillon des Sehens, des Hörens und des Fragens erhalten sie eine Sinnesanregung. Hier ist Raum für eigene Gedanken zur Varusschlacht.

Rostroter Stahl-Pavillon, Varusschlacht-Museum und Archäologischer Park Kalkriese, Niedersachsen
Einer der drei Pavillons: Der Pavillon des Sehens

Ein spannender Abschnitt ist eine Art Graben in einem viereckigen Grundriss, der mit Stahlwänden ausgekleidet ist und den Bodenschnitt symbolisiert. Hier läuft man mehrere Meter tief in den Boden hinein und kann anhand einer Bemalung den Verlauf der Bodenschichten, durch die sich die Archäologen gegraben haben und einzelne Funde gemacht haben, nachvollziehen. Auf einer Seite des Grabens findet man auch eine Rekonstruktion der damaligen Bodenverhältnisse, also der Moorlandschaft und ihrer Pflanzen. So fällt es leichter, sich vorzustellen, durch welch matschiges Terrain sich die römischen Truppen mit ihren Maultieren und ihrer schweren Ausrüstung schlugen.

Im angrenzenden Wald kann man den „Germanenpfaden“ folgen und sich vorstellen, wie sich die germanischen Krieger durch die dichten Bäume und das Unterholz an die Legionen heranpirschten. Sogar ein germanisches Heiligtum ist hier nachgebaut.

Fazit

Für das Museum und den Park sollte man sich als Besucher auf jeden Fall genug Zeit nehmen, ich empfehle mindestens zweieinhalb bis drei Stunden, vielleicht auch mehr, je nachdem wie intensiv man reflektieren möchte. Dieser Ort ist wirklich etwas Besonderes. Der Kontrast zwischen der heutigen Idylle und der blutigen Schlacht auf der anderen Seite erzeugen eine sonderbare, nachdenklich machende Stimmung.

Natürlich darf man nicht vergessen: Rom war nicht nur eine Hochkultur, sondern auch eine Besatzungsmacht, die neben all ihren kulturellen Errungenschaften auch viel Leid in ihren eroberten Gebieten verursachte und diese auch gnadenlos ausbeutete. Und genau dieses Schicksal drohte in der Zeit der Varusschlacht auch den Bewohnern der rechtsrheinischen germanischen Gebiete.

Modellfiguren von römischen Legionären im Zinnsoldaten-Stil, Varusschlacht-Museum und Archäologischer Park Kalkriese, Niedersachsen
Modell einer idealen Marschordnung für eine römische Legion – in einer solch breiten Formation konnten sie in Kalkriese nicht marschieren und das machte sie verwundbar.

Ein charismatischer Anführer

Konnte Arminius den Gedanken nicht ertragen, seine Stammesgenossen der römischen Besatzungsmacht auszusetzen? Wandte er sich deswegen trotz all der Privilegien, die er genoss, gegen Rom? Oder war er insgeheim immer entschlossen, es den Römern eines Tages heimzuzahlen? Schließlich war er nicht freiwillig nach Rom gekommen, sondern als Sohn eines Cheruskerfürsten bereits in seiner Jugend als Geisel nach Italien verschleppt worden. Wir wissen wenig über Arminius und man kann nur über seine Motive spekulieren. Doch er hat es im Jahr 9 n. Chr. geschafft, die germanischen Stämme, die sich auch oft genug untereinander bekriegten, zumindest für eine kurze Zeit und gegen einen gemeinsamen Feind zu vereinen. Am Ende gelang es ihnen, die eigentlich als unbesiegbar geltende römische Armee vernichtend zu schlagen. Das ist eine ungeheure Leistung und spricht dafür, dass der Cherusker ein charismatischer Anführer und außergewöhnlicher Mensch gewesen sein muss.

Der menschliche Aspekt

Die Römer schließlich erlebten in Germanien ein Waterloo, eine krachende demütigende Niederlage. Und auch wenn die römische Armee ein vielköpfiges Gebilde war, so ist der Verlust von drei Legionen, was etwa 10.000 bis 15.000 Soldaten entspricht, auch für eine Weltmacht keine Kleinigkeit. So soll Kaiser Augustus, als er von der Niederlage erfuhr, ausgerufen haben: „Varus, gib mir meine Legionen zurück!“ Varus musste sich dem Zorn seines Kaisers jedoch nicht mehr stellen, er fand ebenso wie seine Soldaten sein Grab in Germanien.

Großes Hörrohr im Pavillon des Hörens, Varusschlacht-Museum und Archäologischer Park Kalkriese, Niedersachsen
Heute hören wir die Geräuschkulisse des 21. Jahrhunderts. Doch wie hat es damals geklungen?

Auch wenn in diesem Fall völlig klar ist, dass Rom der Angreifer war und die Germanen lediglich ihre Heimat verteidigt haben, kam ich während meines Besuchs trotzdem nicht umhin, ein wenig Mitgefühl mit den gefallenen römischen Soldaten zu haben. Schließlich sind die politischen Umstände die eine Sache, doch man darf nicht vergessen, dass die Geschichte dieser Schlacht auch mit unzähligen menschlichen Schicksalen verknüpft ist. Und sehr viele Familien in römischen Provinzen warteten nach der Varusschlacht vergeblich auf die Rückkehr ihrer Männer, Brüder und Söhne.

Das Schicksal der Legionäre

Die Armee war in der römischen Welt eine der wenigen Möglichkeiten für Männer aus ärmeren Schichten, gesellschaftlich aufzusteigen und sich einen bescheidenen Wohlstand zu erarbeiten. Viele der über 10.000 gefallenen Legionäre werden vermutlich nicht einmal aus innerer Überzeugung nach Germanien gekommen sein, sondern einfach, weil es ihr Job war und weil sie mit dieser Art von Arbeit die Hoffnung auf eine für sie bessere Zukunft verbanden. Das darf man nicht vergessen.

Blick auf eine rostige Stahlwand mit einer Aufschrift, Varusschlacht-Museum und Archäologischer Park Kalkriese, Niedersachsen
Die Varusschlacht ist Vergangenheit. Krieg nicht!

Zeit für Reflexion

Mit solchen Gedanken gelangte ich jedenfalls ans Ende des Rundgangs. Mich ließen dieser Ort und das faszinierende Rätsel, das ihn noch immer umgibt, nachdenklich zurück. Auch auf der Heimfahrt beschäftigte er mich noch eine ganze Weile. Dies sieht man vielleicht auch schon darin, dass ich noch nie ein so langes Fazit wie in diesem Artikel geschrieben habe.

Ich denke, die Zeit zum Reflektieren sollte man sich als Besucher unbedingt nehmen, um wirklich die ganze Dimension dieses Ortes und seiner Ereignisse zu begreifen und diesen Ort in all seinen Facetten zu erleben. Das Museum nimmt den Besucher sehr gut an die Hand und bereitet ihn vor, während der Archäologische Park großen Raum für die eigenen Gedanken und das Verarbeiten des Gelernten bietet. Dies ist eine außergewöhnliche Kombination, die Kalkriese absolut besuchenswert macht!

Varusschlacht-Museum und Archäologischer Park Kalkriese, Niedersachsen

Von Sylvia S

Liebt Geschichte und das Reisen. Aber auch Literatur, Fußball, Gaming und Heavy Metal. Und fragt sich seit Jahren, warum es eigentlich keine Wikinger-Emojis gibt.

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