Objekt im Freilichtmuseum Hagen

Mit ohrenbetäubendem Krachen fährt der Sensenhammer auf den Amboss nieder und lässt die Funken fliegen. Sein unerbittliches Stakkato lässt den Boden erzittern. Während die umstehenden Schaulustigen die Hände auf die Ohren pressen, zeigt sich der Mann hinter dem Hammer unbeeindruckt. Unter seinen geübten Bewegungen und dem Krachen des Hammers verwandelt sich das rotglühende Metallstück. Schon nach etwa einer Minute ist die Form des Sensenblatts deutlich zu erkennen. Der mächtige Sensenhammer steht im Freilichtmuseum Hagen. Und er ist nur eine von vielen Werkstätten, die die Herzen von Fans der Wirtschafts- und Technikgeschichte höherschlagen lassen.

Ein Fachwerkhaus im Freilichtmuseum Hagen
Blick auf den Friseursalon

Seit 1973 existiert das „LWL-Freilichtmuseum Hagen, Westfälisches Landesmuseum für Handwerk und Technik“, wie es mit vollem Namen heißt. Schon der Name macht deutlich, dass es sich von den meisten Freilichtmuseen, wie man sie kennt, thematisch unterscheidet. Während in vielen Freilichtmuseen in Europa vor allem regionales bäuerliches Leben und Arbeiten im Wandel der Zeit im Fokus steht, wird man in Hagen historische Bauernkaten oder Viehställe vergeblich suchen.  Stattdessen zeigt das Museum Handwerks- und Technikgeschichte des südlichen Westfalen der letzten etwa 200 Jahre.

Amboss im Freilichtmuseum Hagen
Keine Bauernkaten – im Freilichtmuseum Hagen geht es ums Handwerk.

Metallverarbeitung

Studiert man den Übersichtsplan des Geländes, so stechen einem sofort die vielen unterschiedlichen Typen von Schmieden ins Auge, die es hier zu sehen gibt: Kupferschmiede, Gelbschmiede, Blechschmiede, Nagelschmiede, Bohrerschmiede, und, ja, sogar eine Kuhschellenschmiede gibt es hier. Und das ist nur eine Auswahl. Dies verrät uns bereits viel über die Industriegeschichte der Region. Denn bereits vor der Industrialisierung war Metallverarbeitung einer der wichtigsten Wirtschaftszweige im südlichen Westfalen. Die vielen Fließgewässer erlaubten auch schon in vorindustrieller Zeit den Betrieb halbautomatischer Hämmer und somit auch eine Art Serienfertigung bestimmter Produkte.

Objekt im Freilichtmuseum Hagen
Halbautomatischer Hammer zum Prägen von Feinblechen

Auch mit dem Einsetzen der Industrialisierung blieb die Metallverarbeitung ein bedeutender Wirtschaftszweig – und sie ist es bis heute. Daran änderte auch nicht die Tatsache etwas, dass das aufstrebende Ruhrgebiet mit seinen unzähligen Steinkohlezechen und seinen niemals erlöschenden Hochöfen quasi vor der Haustür lag. Die Stadt Hagen – im Ruhrgebiet heute noch bekannt als das „Tor zum Sauerland“ – nimmt hier eine Art Brückenposition ein. Sie gehört noch zum Ruhrgebiet, doch irgendwie ist sie auch schon Sauerland. Gerade die alteingesessenen Bewohner der später eingemeindeten Stadtteile wie Hohenlimburg fühlen sich auch heute noch häufig eher als Sauerländer.

Objekt im Freilichtmuseum Hagen
Blick in die Nagelschmiede – hier gibt es auch Vorführungen.

Das nordrhein-westfälische Sauer- und Siegerland, die zur Region Südwestfalen gehören, blieben zwar auch in der Folgezeit agrarisch geprägt. Trotzdem entstanden hier nicht nur industrielle Hüttenwerke und eine Stahlindustrie. Aber auch die spezialisierte Fertigung fein gearbeiteter Objekte blieb bedeutend für die Wirtschaft der Region. Exemplarisch zeigt sich das im Freilichtmuseum Hagen an den detailliert gearbeiteten Zierblechen aus Messing, die hier produziert wurden. Es brauchte viel Erfahrung und Geschick, solche feinen Bleche zu prägen, ohne dass sie rissen.

Feinbleche im Freilichtmuseum Hagen
Für diese feinen Bleche braucht es viel Fingerspitzengefühl und Erfahrung.

Auch die eingangs erwähnte Herstellung von Sensen hatte eine große Bedeutung, denn sie waren ein international gefragtes Produkt. Der Mitarbeiter des Museums hält das eben in Form gebrachte Werkstück hoch und hält ein fertiges Sensenblatt dagegen. Es ist deutlich größer. „Diesen Arbeitsschritt muss ich noch einige Male wiederholen, bis die Sense ihre endgültige Größe hat und fertig ist“, erklärt er. Eine mühselige und laute Angelegenheit – zumal die Arbeiter damals vermutlich nicht wie er einen ordentlichen Industrie-Gehörschutz trugen. Doch die Mühe lohnte sich, wie er weiter ausführt: „Diese Sensen wurden sogar bis nach Kanada exportiert.“

Im Freilichtmuseum Hagen gibt immer wieder Vorführungen der alten Handwerkstechniken für die Besucher. Viele der ausgestellten Werkstätten sind voll funktionsfähig. Manche sind aktuell allerdings noch durch das Hochwasser vom Sommer 2021 in Mitleidenschaft gezogen, das auch Hagen stark getroffen und Teile der Stadt überflutet hat.

Objekt im Freilichtmuseum Hagen

Zur Metallverarbeitung gehörten natürlich nicht nur die Schmieden, sondern auch begleitende Produktionsketten. So war der Betrieb einer Schmiede oder eines Schmiedehammers ohne Kohle nicht denkbar, weil man sonst nicht die erforderlichen Temperaturen hätte erreichen können, um das Metall weich genug zu bekommen. Ohne Steinkohlevorkommen in der Nähe nutzten die Menschen dafür vor allem Holzkohle, die von Köhlern hergestellt wurde. Auch einen historischen Kohlenmeiler kann man im Freilichtmuseum Hagen sehen.

Objekt im Freilichtmuseum Hagen
Der historische Kohlenmeiler

Passend zum Themenschwerpunkt Metallverarbeitung befindet sich heute auch das Deutsche Schmiedemuseum im Freilichtmuseum Hagen. Hier erfahren die Besucher nicht nur, wie Eisen gewonnen und geschmiedet wird. Es werden auch verschiedene Schmiedeberufe vorgestellt und die Weiterentwicklung der Schmiedekunst vom Wasser- zum Dampfantrieb nachvollzogen. Außerdem gibt es hier eine Auswahl von besonders wertvollen geschmiedeten Objekten wie Damaszener-Schwerter oder -degen.

Objekt im Freilichtmuseum Hagen
Auch größere Objekte wurden in dieser Region hergestellt – dieses Pferd findet sich auch im Landeswappen von Nordrhein-Westfalen wieder, es symbolisiert die Region Lippe.

Papierherstellung und Druck

Neben der Metallverarbeitung gab es aber auch andere wichtige Wirtschaftszweige in der Region. Ein größeres Areal im Freilichtmuseum Hagen widmet sich zum Beispiel der Papierherstellung und der Druckerei. Wir erfahren, dass Papierherstellung früher ein extrem aufwändiges Geschäft war. Heute dienen, wie du sicher weißt, vor allem Holz und andere Pflanzen als Rohstoff für Papier.

Seit es möglich ist, Papier aus Zellulose herzustellen, das von Pflanzen stammt, ist es ein billiges Produkt geworden. Früher waren Textilabfälle der Grundrohstoff für Papier. Und da auch Stoffe vor der Industrialisierung ein sehr mühsam zu produzierendes Produkt waren, war er entsprechend wertvoll und teuer. Kleidung wurde nicht wie heute nach ein oder zwei Jahren weggeworfen, sondern meist so lange repariert und geflickt, bis es wirklich nicht mehr ging.

Objekt im Freilichtmuseum Hagen
Mit solchen Pressen wurde Papier zu Bahnen gewalzt.

Stoffe, die dann nicht mehr verwendet werden konnten, wurden von Lumpensammlern eingesammelt – ein ausgestorbener Beruf. Sie verkauften die Lumpen an Papiermühlen, die sie in einem mehrstufigen und aufwändigen Verfahren verarbeiteten, sie zerrieben und einen Brei daraus herstellten, den sie schließlich zu Papierbahnen pressen konnten. Im Freilichtmuseum Hagen kann man verschiedene Stufen dieses Herstellungsprozesses sehen, aber auch nachvollziehen, wie sich die Produktion von reiner Handarbeit zu automatischer Herstellung wandelte.

Es war ein gefragtes Produkt, denn obwohl Papier teuer war, war es immer noch billiger als das im Mittelalter verwendete Pergament. Im Vergleich zu Pergament konnte es einmal beschrieben aber auch nicht zum Schreiben wiederverwendet werden. Von Pergament hingegen konnte man die Tinte abkratzen und es neu beschreiben, was auch vielfach gemacht wurde.

Objekt im Freilichtmuseum Hagen
Auch dieser Bottich diente zur Papierherstellung.

Allerdings sorgte bereits am Ende des Mittelalters eine neue Technik für den Siegeszug des Papiers: der Druck. Die Erfindung des Buchdrucks durch Johann Gutenberg am Ende des 15. Jahrhunderts gilt nicht umsonst als eine der größten Revolutionen der Menschheitsgeschichte. Diese Technik machte die massenhafte Verbreitung von schriftlichen Informationen erst möglich. Mit der manuellen Drucktechnik des ausgehenden Mittelalters und der frühen Neuzeit haben die Exponate im Freilichtmuseum Hagen schon nicht mehr viel zu tun. Dennoch wirken die mechanischen Druckerpressen und die großen Setzkästen anrührend auf mich. Setzer – noch so ein ausgestorbener Beruf!

Weiteres Handwerk

Neben Metall und Papier werden im Freilichtmuseum Hagen aber noch mehr essenzielle Handwerkszweige gezeigt. Gerberei ist einer davon. Häute und Leder sind schon seit der Steinzeit wichtige Rohstoffe für die Menschen und sie blieben es, bis Baumwolle und High-Tech-Kunststofffasern sie eigentlich überflüssig machten. Bereits das erste Gebäude, das man auf dem Rundgang im Museum sieht, ist eine Lohmühle. Hier gibt es eine Ausstellung zur Haubergswirtschaft. Dies bezeichnet das Schlagen von Holz für den Hausbrand, wobei die Rinden bestimmter Bäume in Lohmühlen als Gerbstoffe gewonnen und zum Gerben von Leder genutzt wurden. Auch die weiteren Verarbeitungsprozesse sind als Werkstatt zu besichtigen, zum Beispiel in der Weißgerberei und der Kürschnerei.

Fachwerkhaus mit Holzzaun davor
Die Lohmühle – das erste Gebäude, auf das man im Museum stößt.

Weitere essenzielle Gewerke waren die Seilerei, die schon von außen durch ihre außerordentliche Länge auffällt, oder auch die Drahtzieherei. Interessant fand ich auch die Öl- und Senfmühle, denn schließlich braucht der Mensch nicht nur was zum Anziehen, sondern auch was zum Essen. Und allmählich kommen wir auch von der Produktion zum Verkauf.

Wasserbassin
Wasserkraft spielte in der Wirtschaft der Region eine wichtige Rolle.

Geschäfte und Wirtshaus

Das Museum gliedert in vier Abschnitte, wobei man sich vom Start des Rundgangs rückwärts arbeitet. Im hintersten Abschnitt finden sich nun viele eng zusammenstehende Fachwerkhäuser, in denen historische Geschäfte untergebracht sind. Bereits im ersten Abschnitt findet man zum Beispiel auch einen Friseurladen, der auch eine Ausstellung über die wirtschafts- und sozialhistorische Bedeutung des Handwerks beherbergt. Ähnlich konzipiert sind auch die anderen Geschäfte und Werkstätten.

Hier gibt es einen Goldschmied, einen Uhrmacher, einen Optiker, einen Schuhmacher, aber auch eine verführerisch duftende Kaffeerösterei, eine Tabakmanufaktur, eine Brauerei, eine Bäckerei, einen Kolonialwarenladen und einen Kaufmannsladen. Und bestimmt habe ich jetzt noch was vergessen. Hier kann man die historische Einrichtung und die Utensilien sehen, mit denen dort früher gearbeitet wurde. In einigen der Geschäfte kann man auch tatsächlich Waren kaufen.

Objekt im Freilichtmuseum Hagen
Ein Beispiel für filigranes Gewerbe: die Uhrmacherwerkstatt

Zum Zeitpunkt meines Besuchs befand sich in diesem Abschnitt der Ausstellung außerdem die sehenswerte Sonderausstellung „Spot an! Technik in den Siebzigern“, eine vielfältig und modern konzipierte Ausstellung mit vielen Mitmach-Elementen. Dabei beschränkt sie sich aber eigentlich nicht nur auf das eine Gebäude. In vielen anderen Gebäuden wie etwa dem Friseursalon wird das Thema ebenfalls aufgegriffen. So werden hier zum Beispiel die legendären Haarnetze der Bundeswehr thematisiert, die sich in den 70ern plötzlich mit einer wachsenden Zahl langhaariger Wehrpflichtiger konfrontiert sah, die nicht durch die Bank bereit waren, die herrliche Haarpracht dem Dienst für das Vaterland zu opfern.

Für alle, die damals dabei waren, ist die Sonderausstellung mit Sicherheit eine Offenbarung und eine Reise in die eigene Jugend. Doch auch ich als Nachgeborene des Jahrgangs 1985 fand sie spannend. Die Ausstellung läuft noch bis Ende der Saison 2023, also bis zum 31. Oktober 2023.

Objekt im Freilichtmuseum Hagen
In diesen Gebäuden sind Geschäfte untergebracht.

Der Rundgang endet, nachdem man einen gewundenen Pfad den Hügel hinaufgestiegen ist, an der Windmühle. Nun kann man auf einem anderen – nicht minder schönen – Weg den Rückweg antreten. Zeit für ein Fazit.     

Objekt im Freilichtmuseum Hagen

Fazit

Das Freilichtmuseum Hagen mit seinen Fachwerkhäusern hat vor allem im Sommer seinen ganz eigenen Charme. Eingebettet in eine idyllische grüne Landschaft ist es auch ein beliebtes Ausflugsziel für Familien. Auch mit Kindern lohnt sich ein Besuch, es gibt eigene Beschilderungen für Kinder und museumspädagogische Angebote. An Outdoor-Installationen wie dem Experimentierfeld Wasser haben junge Besucher sicher ihren Spaß. Viele Menschen aus der Region nutzen an schönen Sommertagen das Museum für Tagesausflüge oder zum Picknicken. Ein Besuch im Museum ist gleichzeitig ein wirklich schöner Spaziergang.

Teich im Freilichtmuseum Hagen
Das Museum ist auch landschaftlich wunderschön gelegen.

Eine eigens entwickelte App unterstützt den Besuch auch digital, wenn man möchte. Für den Besuch im Freilichtmuseum Hagen kann man gut und gerne drei Stunden einplanen – vielleicht auch mehr, wenn man zum Beispiel noch in der Gastronomie einkehren möchte. Aufgrund der Größe des Geländes und der Vielzahl der ausgestellten Gebäude und Informationen ist es schwierig, an einem Tag wirklich alles zu sehen und jede Tafel zu lesen. Irgendwann ist man ja auch einfach nicht mehr aufnahmefähig, daher muss man zwangsläufig ein bisschen selektieren. Wir haben schließlich auch manche Gebäude ausgelassen. Wenn du also an der Wirtschafts- und Technikgeschichte der Region interessiert bist, schadet es sicher nicht, noch einmal wiederzukommen!

Gelbes Fachwerkhaus im Freilichtmuseum Hagen
Dieses gelbe Fachwerkhaus ist spektakulär, oder?

Die in den historischen Werkstätten produzierten Waren kann man zum Teil auch in den Geschäften kaufen – sicher ein schönes Souvenir oder Mitbringsel für historisch interessierte Daheimgebliebene. Wenn du Lust auf einen schönen Ausflug ins Grüne hast, und dabei etwas über Handwerks- und Technikgeschichte zu lernen, lohnt sich ein Besuch im Freilichtmuseum Hagen auf jeden Fall.

Besuchst du auch gerne Freilichtmuseen? Wenn ja, verrat mir doch gerne mal in den Kommentaren, welches dein Lieblings-Freilichtmuseum ist!

Von sylvia1985

Liebt Geschichte und das Reisen. Aber auch Literatur, Fußball, Gaming und Heavy Metal. Und fragt sich seit Jahren, warum es eigentlich keine Wikinger-Emojis gibt.

5 Gedanken zu „Funkenflug und Lumpenmühlen: 200 Jahre Handwerks- und Technikgeschichte im Freilichtmuseum Hagen“
  1. Freue mich wahnsinnig, diesen Artikel zu erblicken! Schließlich hatte ich das Glück, das Freilichtmuseum Hagen mit der Autorin zusammen zu erkunden. Ein weiterer akribisch recherchierter Artikel von Sylvia mit Bildern, an denen man Freude haben kann. Das Wetter tat das übrige hinzu. Einfach klasse! Die Monate September und Oktober sind gute Monate für eine Erkundung.

    1. Ja, das glaube ich auch, dass das gute Monate dafür sind! Bei uns war es ja doch noch recht heiß, im Moment ist es vermutlich noch angenehmer. Und ich denke, wenn die Bäume dort ihr Herbstkleid tragen, ist das bestimmt auch noch mal ein besonderes Flair. 🙂

      1. Der milde September und der goldene Oktober sind meine Lieblingsmonate. Eben wegen diesem herbstlichen Flair, was ich so sehr liebe, würde ich am liebsten nochmal dort hinfahren und mich berauschen…

  2. Sehr interessant und lehrreich! Das würde ich gerne mal sehen. Wie nachhaltig man damals noch gelebt hat. Kleidung tragen, bis sie Lumpen sind und daraus dann noch Papier herstellen. Alle Achtung!

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